Rezension

Frau lernt nie aus - gar nicht so dumme Fragen zum weiblichen Körper

Viva la Vagina! - Nina Brochmann, Ellen Støkken Dahl

Viva la Vagina!
von Nina Brochmann Ellen Støkken Dahl

Bewertet mit 5 Sternen

Nina Brochmann und‎ Ellen Støkken Dahl widmen ihr Buch allen Frauen, die sich fragen, ob sie richtig funktionieren oder ob ihr Körper von der Norm abweicht. Als erfolgreiche Bloggerinnen stellten sie überrascht fest, dass ihre Follower aus allen Altersgruppen stammen und, anders als erwartet, nicht hauptsächlich Jugendliche sind. Im lockeren Stil von Giulia Enders‘ „Darm mit Charme“  trauen sie sich, Fragen zu stellen, die andere für dumm halten könnten. Ihr Ziel: mit hartnäckigen Mythen zum weiblichen Körper aufräumen, z. B. dem vom vaginalen Orgasmus, und die Risiken der Pille neu und aus der Sicht von Statistikern bewerten. Trotz zunehmender Sexualisierung von Jugendlichen in den Industrieländern stellten sie bei jungen Erwachsenen recht beschränkte Anatomiekenntnisse  fest und fanden aus Pornografiekonsum  resultierende Fehlinformationen vor, die offenbar schwer auszurotten sind. Wenn Menschen nicht miteinander reden, können sich Mythen ausbreiten und halten, so die Autorinnen; beim Thema Sexualität und Sexualorgane sei es Zeit für ein neues Wirklichkeitsverständnis. Aus Unwissenheit entstehe Unsicherheit, ob man selbst normal sei. Als Reaktion auf  diese konstatierte anatomische Unwissenheit beschreiben die beiden Medizinerinnen sehr ausführlich den weiblichen Körper. Sie liefern z. B. Grundwissen, was eine Schleimhaut von anderen Hautregionen unterscheidet, was sie uns nützt und wie eine Schleimhaut gern behandelt werden möchte. Mythen und Fakten zur Intimhygiene werden durchleuchtet, sowie das wichtige Thema Cisgender und Entstehung unserer Genitalien im Embryostadium. Dass Mädchen in armen Ländern häufig nach Einsetzen der Menstruation die Schule abbrechen, weil dort keine Menstruationshygiene möglich ist, sei besonders Anhängern von Entwicklungshilfe in Form repräsentativer Baumaßnahmen ins Stammbuch geschrieben. Warum Sex und Lust „popkulturell“ meist durch die Brille männlicher Normen dargestellt wird, auch das können Leser und Leserinnen hier erfahren.

Rund 1/4 des Buches befasst sich mit Verhütungsmethoden;  die Informationen dazu sind umfangreich und auch hier mit Statistikwissen aufbereitet. Die Bewertung von Risiken der Pille fällt zweifellos anders aus, wenn man als Anwenderin zwischen absoluten und relativen Risiken unterscheiden kann und selbst beurteilen lernt, wie wissenschaftliche Studien mit dem Zufallsfaktor umgehen. Die Entscheidungshilfe, was einem selbst in der Verhütung wichtig ist, fand ich sehr hilfreich, aber optisch  unattraktiv vermittelt. Leider besteht der Verhütungsteil fast nur aus recht einförmigem Text und wenigen Abbildungen. Dass an anderer Stelle eine Übersichtstabelle und eine Vertiefung zum Pearl-Index folgt, könnte für Häppchenleser durch Verweise deutlicher vermittelt werden.

Im letzten großen Kapitel geht es in gewohnt lockerem Ton um Beschwerden wie Infektionen, Inkontinenz, Hämorrhoiden, HP-Viren, auch um die biologische Uhr, Schönheitsideale und Intimchirurgie.

40 Seiten Anmerkungen und Literaturhinweise vermitteln, dass die Autorinnen heute keine „ahnungslosen Medizinstudentinnen“ mehr sind, als die sie ursprünglich in ihr Thema eingestiegen sind.

Das Buch ermutigt Frauen in lockerem Ton, sich von Schönheitsidealen und Normen Außenstehender frei zu machen. Um zu entscheiden, welchen LeserInnen  das Buch nützen wird, kann man sich tatsächlich am Stil Giulia Enders‘ orientieren. Wer von Enders direkten und bildhaften Beschreibungen profitiert und die Fakten bis heute im Gedächtnis behalten hat, liegt mit „Viva la Vagina!“  nicht falsch. Brochmann und Støkken Dahl formulieren ihre durchweg vernünftigen Ansichten gelassen, achtsam und mit feministischem Hintergrund. “Wir lernen nie aus“, ist ihr Fazit.

Anfangs kann die pure Textmenge überwältigen, aber in der Ausführlichkeit des Texts zeigt sich hier m. A. nach die Wertschätzung des weiblichen Körpers. Da nicht alle Menschen Wissen gern allein aus umfangreichen Texten beziehen, könnten einige Illustrationen mehr, Seitenüberschriften und Verweise innerhalb des Textes die Attraktivität des Buches sicherlich steigern