Rezension

Freiheit

Die Frau von Montparnasse -

Die Frau von Montparnasse
von Caroline Bernard

Bewertet mit 4.5 Sternen

„War das Glück zugleich auch immer eine Gefahr? Wie konnte sie sich Sartre hingeben – denn nur das bedeutete für sie Liebe – und sich nicht gleichzeitig verlieren?

„Die Frau von Montparnasse“ ist ein historischer Roman von Caroline Bernard. Er erschien am 15.02.2021 im Aufbau Verlag und gehört zu der Romanreihe „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“.

Simone de Beauvoir ist anders. Ihr Lebenstraum ist es, ein Buch zu schreiben. Während ihres Studiums lernt sie Jean-Paul Sartre kennen und lieben. Gemeinsam lassen sie sich auf ein ungewöhnliches Bündnis ein: eine offene Beziehung zu einer Zeit, in der bürgerlichen Anschauungen noch sehr konservativ waren und alles außerhalb der klassischen Ehe vollständig abgewertet wurde... Doch was für Simone zunächst einfach klingt, entpuppt sich als echte Herausforderung, denn wie bringt man Liebe, Freiheit und Selbstständigkeit unter einen Hut ohne sich dabei selbst zu verlieren…?

 

Philosophie, Literatur, Sartre. Das ist Simones Welt. Sie ist anders, anders als die typische Frau zum Ende der 1920er, anders als die typische Frau heute. Sie ist intelligent, unglaublich klug und wissbegierig und daher als „Blaustrumpf“ verpönt. Doch die Schmähungen treffen sie nur bedingt, denn sie ist entschlossen zu lernen. Sie möchte ein Buch schreiben und unterrichten.

Die Ehe? Nur ein bürgerliches Konstrukt und wenig erstrebenswert… Doch dann lernt sie Sartre kennen. Dieser besticht nicht unbedingt durch äußerliche Reize, aber umso mehr durch Intelligenz, Charme und Worte. Im Nu wickelt er Simone um den Finger und eine leidenschaftliche Affäre beginnt. Zusammen bilden Simone und Sartre eine Einheit, die die anderen ausschließt. Sie verstehen einander, wie es sonst niemand kann. Sie ergänzen ihre Gedanken, diskutieren stundenlang philosophische Fragen und haben einander immer etwas zu erzählen. Aus einer lockeren Beziehung entsteht ein Pakt, eine offene Beziehung, die alles erlaubt, aber dennoch Treue verspricht.

Eine Verbindung, die nicht immer einfach ist, denn auch Simone ist vor Gefühlen nicht gefeit und erschrickt selbst über die Anziehungskraft und die Sehnsucht, die Sartre bei ihr auslöst. Doch trotz ihrer Gefühle ist Simone klar, dass die Ehe für sie nicht tragbar ist. Sie möchte frei sein, sich selbst erfinden und sich vor allem selbst treu bleiben: „Ich werde mir immer treu sein, vor allen anderen.“.

Ihr Vorsatz ist eindeutig und klar, aber nicht immer leicht. Zwischen offener Beziehung, Freunden und Liebhaber*innen reibt sich Simone immer mehr auf. Sie nimmt sich Zeit für andere und deren Sorgen, aber verliert ihr Buchprojekt und sich selbst dabei immer wieder aus den Augen. Sie führt kein leichtes Leben und ist dennoch eine Frau, die ich bewundere.

Ich wusste vor dem Roman nichts über Simone de Beauvoir und bin nun vollkommen begeistert von ihr. Sie lebt ihr Leben so, wie sie es wollte und setzt ihren Traum der Freiheit gegen alle Widerstände durch. Dabei ist sie nur selten egoistisch und hat, im Gegensatz zu Sartre, dabei stets das Wohlbefinden ihrer Mitmenschen im Auge. Von ihrer eigenen Familie durch bürgerliche Ansichten getrennt, schafft sie sich eine neue Familie, ihre „Familie von Montparnasse“ aus Künstlern, Freigeistern und Schülerinnen. Sie opfert sich für diese auf und kümmert sich um jeden einzelnen…

Der Roman macht deutlich, wie häufig Simone vor Gewissenkonflikten und Problemen stand, die es zu lösen galt. Beständig ist hauptsächlich Sartre, an den sie ihr Herz unwiderruflich verloren hat. Interessant fand ich, dass die sexuelle Leidenschaft der beiden nach und nach erlosch, sie sich aber intellektuell so sehr ergänzten, dass sie ohne einander nicht leben konnten. Simone ist die Frau an Sartres Seite. Sie ist seine Muse, seine Partnerin, seine Lektorin. Ohne, dass sie seine Schriften redigiert hat, konnte keine veröffentlicht werden und obwohl sie selbst einige bedeutsame Werke zur Rolle der Frau geschrieben hat, wird sie auch heute noch als „Frau an der Seite von Sartre“ gesehen und bezeichnet – ein Trauerspiel der Emanzipation. Denn während die damalige Haltung noch nachvollziehbar war, so sollte zumindest heute klar sein, dass Simone eine Frau war, die Großes geleistet hat. Sie sollte nicht im Schatten Sartres stehen, denn ohne sie, wäre er vielleicht nicht das Genie, das wir heute kennen…

Simone de Beauvoirs Geschichte beschreibt eine interessante und großartige Frau, die ihrer Zeit einige Schritte voraus war. Lange Zeit ist Simone unpolitisch und nur auf philosophische Zusammenhänge bedacht, doch nach dem zweiten Weltkrieg beginnt sie mehr und mehr über die Rolle der Frau nachzudenken und schreibt einige wichtige Werke zur Emanzipation. Ihre innere Entschlossenheit sowie ihre zeitweise Verzweiflung und der Kampf mit sich selbst werden brillant dargestellt und vermittelt. Die personale Erzählperspektive stellt die Ereignisse häufig sehr sachlich und philosophisch dar, was aber absolut zu Simones Charakter passt. Mir war diese Schreibweise an manchen Stellen etwas zu abstrakt und gerade zu Beginn des Romans hatte ich leichte Schwierigkeiten mich in den Schreibstil einzufinden. Im Lauf der Handlung legte sich dieses allerdings vollständig, sodass ich mehr und mehr Freude an dem Roman fand.

Historische sowie biografische Aspekte Sartres und Simones sind gut recherchiert und dargestellt. Auch die philosophischen Fragestellungen werden eindrucksvoll beleuchtet und angerissen. Sie fügen sich leicht in die teils fiktive Handlung ein und vermitteln den Lesern einen guten Einblick in die damalige Zeit. Zudem regen sie zum Nachdenken an, ohne dabei den Lesefluss zu erschweren.

Mein Fazit: Caroline Bernard schreibt einen großartigen und interessanten Roman mit biografischen Zügen über Simone de Beauvoir. Eine Frau, die früh den Gedanken der Emanzipation gelebt hat und uns alle lehrt, was es heißt eine selbstbestimmt lebende Frau zu sein. Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und bin wieder einmal begeistert über diese großartige Buchreihe aus dem Aufbau Verlag!