Rezension

Gern gelesen

«Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen.» -

«Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen.»
von Dirk Stermann

Bewertet mit 0.5 Sternen

Eine beeindruckende Frau mit Schalk im Nacken

Ich wurde auf das Buch im WDR2-Radio, durch den Buchtipp Westermanns, aufmerksam. Erika Freemann ist eine beeindruckende Frau. Im Juli wird sie 97 Jahre alt. Schöne Dialoge, Witz und der Leser erfährt einiges durch eine own-voice-Gesprächspartnerin über die jüdische Kultur und Lebensart, das Leben im Kibbuz und die jiddische Kindererziehung.

Erikas Eltern wurden beide in der Nazizeit ermordet. Ihre Mutter war mit Anna Freud, der Tochter des Psychoanalytikers, befreundet. Sie selbst wurde 1940 mit 12 Jahren von ihrer Mutter in einen Zug gesetzt, um ganz allein von Österreich in die USA zu emigrieren. 'Ich hatte keine Vorstellung von Amerika, es war einfach nur das Land, in das ich flüchtete, weil ich nicht nach Palästina konnte (77)'. Erika ist ein einsames Kind. Die junge Dame landet zunächst bei einer Pflegefamilie, dann im Kinderheim, besucht die Schule 'Pleasantville' (Nomen est omen). Dort fühlt sie sich wohl. Mit nur 16 Jahren beginnt sie ein Politikstudium, kommt in eine neue Pflegefamilie, wo sie raus-fliegt. Sie wohnt in einem Mädchenwohnheim. Freemann studiert Psychologie und promoviert über das Leben im Kibbuz. Im Buch wird ihr anlässlich ihres 95. Geburtstages die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen, im Alter nähert sie sich erneut ihrer Heimat. Im Imperial in Wien, wie es die Protagonistin tut, würde ich auch gern auf Dauer residieren.

Es ist spannend, Freemans Lebensgeschichte Stück für Stück zu folgen. Das Buch ist gespickt mit ein paar Lebensweisheiten, eigenen, gehörten und auch solchen von Kalenderblättern. Dass man Flüstern sollte (und nicht schreien), um zu Aufmerksamkeit zu gelangen, werde ich einmal ausprobieren (134). Dass man nicht unglücklich darüber sein sollte, dass Rosen Dornen haben, sondern sich daran erfreuen, dass Dornen Rosen haben (147), ist keine unbekannte, aber schön formulierte Lebens-Einstellung. Der Roman wimmelt nur so von Namen, die man unmöglich alle verdauen, geschweige denn sich merken kann. Gut gefällt mir auch, dass Stermann und Freemann sich Witze erzählen, Humor ist der Kitt, der das Leben zusammenhält (Resi Lienz), überhaupt die humoristische Nuance Freemanns Charakters und der Biographie. So wird z.B. der Pegelstand des Rheins beschrieben, deren Höhe noch nicht einmal für Seepferdchen ausreichend wäre oder das Herziehen über Donald Trump.I-Tüpfelchen ist dann noch Freemans Denglisch.

Das Buch ist so ungewöhnlich wie die Lebensgeschichte der 'Heldin'. Ich habe es gern gelesen.