Rezension

Grausame Realität

Das wirkliche Leben - Adeline Dieudonné

Das wirkliche Leben
von Adeline Dieudonné

Bewertet mit 4 Sternen

Diese Geschichte ist eine echte Wucht. Eine Warnung vorweg: Es gibt viel Gewalt - psychische wie körperliche gegen Menschen und Tiere. Erzählerin ist ein Mädchen ohne Namen, das zurück blickt auf eine Kindheit und Jugendzeit mit einem gewalttätigen Vater, einer teilnahmslosen Mutter und dem jüngeren Bruder Gilles, der durch einen schlimmen Vorfall traumatisiert wird, und die Ereignisse aus vier (oder fünf) hintereinander folgenden Sommern schildert. 

Die Entwicklung, die sie dabei durchmacht finde ich großartig. Es beginnt, als sie zehn Jahre alt ist. Sie will sich selbst nicht als Opfer sehen und handelt auch nicht so. Trotzdem zeigt sie Schwäche und das ist gleichzeitig ihre Stärke. Der Autorin gelingt es mit ihrer direkten, schonungslosen, gleichzeitig brutalen wie zarten Sprache eine Atmosphäre zu erschaffen, bei der man von einer ständigen Bedrohung ausgeht, bildlich dargestellt im Buch durch die Hyäne, deren Kopf als Jagdtrophäe im Haus hängt, die alles sieht und alles Positive verschlingt. Diese Geschichte fordert einen heraus, denn hier wird die grausame Realität, hier wird das wirkliche Leben abgebildet.

Diese Beklemmung hält sich die ganze Zeit über, man möchte unbedingt wissen wie es weitergeht, aber man möchte auch nicht diese schlimmen Sachen lesen. Vor ein paar Szenen musste ich mich innerlich wappnen, bevor ich weiterlesen konnte. Es war echt nervenaufreibend. Der Vater als Tyrann wird wirklich sehr gut dargestellt. Die Mutter blieb sehr blass und - wie die Beziehung des Mädchens zu ihr - sehr distanziert. Das fand ich etwas schade, da ihre Figur viele Fragen aufwirft und ich gerne mehr von ihren Hintergründen erfahren hätte. Das Leben von Frauen, die eine Beziehung mit einem gewalttätigen Mann führen, ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Am gruseligsten waren die Beschreibungen der Entwicklung des Bruders, zu dem das Mädchen eine bedingungslose Geschwisterliebe empfindet

Manche Szenen und Elemente mochte ich nicht so gerne. Da ist zum Beispiel eine Sexszene, die ich abstoßend fand. Sie war zwar einvernehmlich, aber trotzdem auf sehr einseitige Befriedigung ausgelegt und die Konstellation der beiden Menschen ging für mich gar nicht. Das Ende ist gut, ich habe atemlos das Buch zugeschlagen und konnte kaum fassen, wie spannend es war, was ich da gerade gelesen hatte. Trotzdem gibt es diese eine Sache, die nicht ganz zum Rest passt. Die Autorin spielt hier mit einer Möglichkeit, die zwar im übertragenen Sinne sehr schön ist und Hoffnung gibt, aber doch ein paar Zweifel übrig lässt.

 

Fazit

Eine Geschichte, die an Grenzen geht, die auch im wirklichen Leben sehr wohl sehr oft übertreten werden. Durch die kindliche Wahrnehmung wird die brutale Realität in dieser Familiengeschichte zu einer Jagd auf Leben und Tod. Große Leseempfehlung zu diesem spannenden Roman!