Rezension

Gute Ansätze, denen es an Tiefgang fehlt

Schwarz und Silber - Paolo Giordano

Schwarz und Silber
von Paolo Giordano

Bewertet mit 2.5 Sternen

Mehr als ein verschlissenes Herz

Der Trost, sie so stark zu wissen, vermischt sich mit der Angst, nicht wirklich unentbehrlich für sie zu sein und unter den zahllosen Arten, mit denen ich an ihr hänge, an ihr zu hängen wie ein Blutsauger, der anderen das Leben aussaugt, eine Art riesiger Parasit.“

Inhalt

Anna ist das Kindermädchen von Emanuele, dem Sohn von Nora und dem Ich-Erzähler und hat in der Kleinstfamilie einen unentbehrlichen Stellenwert eingenommen, eine noch viel bedeutsamere Rolle als die Großeltern oder andere Bezugspersonen.

Doch nun ist sie krank, so krank, dass ihre Lebenszeit bemessen ist und der Krebs wird sie zunächst nur schwächen aber bald schon einen hohen Tribut einfordern und dann kann sie weder für das Ehepaar da sein,noch für den Schulanfänger, den sie liebevoll seit seiner Geburt betreut. Deshalb zieht sie sich zurück, schraubt den Kontakt auf ein Minimum herunter und konzentriert sich auf den Kampf gegen die tödliche Krankheit.

Für das Paar brechen ungeahnte Zeiten an, denn Signora A., die sie als ihre engste Vertraute ansehen, hat das Gleichgewicht in der Paarbeziehung anscheinend erst hergestellt und nun müssen sich Mann und Frau erneut finden, wenn sie nicht so einsam bleiben möchten, wie sie es tatsächlich schon sind.

Meinung

Der in Turin geborene Autor, der mich mit seinem Buch „Die Einsamkeit der Primzahlen“ vor einigen Jahren schon überzeugen konnte, widmet sich in diesem Roman nicht nur dem langsamen Zerbrechen einer zunächst stabilen Paarbeziehung, sondern in erster Linie den Bruchstellen, die andere hinterlassen, wenn sie gehen müssen. Gerade die Beschreibung des Klappentextes, hat mich sehr in ihren Bann gezogen, denn ich habe ein Faible für tiefgründige Themen, die sehr gerne auch den Tod oder das Verlassenwerden betreffen dürfen. Und zu gern hätte ich Antworten auf die versprochenen Fragen (Was hält Menschen zusammen, was trennt sie? Was passiert, wenn plötzlich jemand fehlt, der immer da war?) bekommen, was leider nur unzureichend durch die Lektüre geleistet wird.

Der Ich-Erzähler tritt hier in einer dermaßen einseitigen Erzählperspektive auf, das seine Gedanken den ganzen Roman dominieren. Und vielleicht weil er wie der Autor selbst Physiker ist und seine Stärken mehr auf Logik und klaren Strukturen basieren, bleibt mir alles Gesagte seltsam fremd und erscheint trotz Bedeutsamkeit eher nüchtern und objektiv. Beim Lesen habe ich die tiefere Bedeutung immer nur erahnt, sie dringt viel zu schwer an die Oberfläche und nimmt mich als Leser nicht gefangen. Selbst die Protagonisten untereinander wahren eine gewisse Distanz und sind sich zwar nah, aber weniger auf einer emotionalen Ebene als in ihren ganz alltäglichen Handlungen. Egal ob es sich dabei um Nora seine Frau, Emanuel seinen Sohn oder Anna, ihr Kindermädchen handelt, ich komme einfach nicht an deren Gedankenwelt heran und sie bleiben mir bis zuletzt sehr fremd.

Der Schreibstil selbst ist lobenswert, er transportiert passend zur Thematik eine große Portion Melancholie und schafft schöne Bilder. Auch der Wechsel zwischen den Zeitstrukturen des Romans konnte mich überzeugen, denn manches wird rückblickend anderes vorausschauend betrachtet, so dass ein stimmiges Gesamtbild entsteht.

Umso ärgerlicher bin ich über die inhaltliche Zerrissenheit des Textes, die ausgehend von verschiedenen Berührungspunkten immer wieder Gedankensplitter aufnimmt, über die ich nachdenken möchte, sie aber ebenso schnell wieder fallenlässt. Damit zerfasert sich der Text immer mehr und es bleibt nur wenig Lobenswertes zurück. Sehr gern hätte ich über die ein oder andere Frage länger nachgedacht als es der Autor für notwendig hält, denn er erstickt seine guten Gedankengänge und bringt sie viel zu abrupt zu Ende, in dem er absolute Antworten auf Fragen liefert, die nicht so ohne Weiteres zu beantworten sind.

Darüber hinaus kritisiere ich so manche abstruse Äußerung wie zum Beispiel seine Aussage über die Familie (S. 57): „Eine Familie in ihren Anfängen ist manchmal auch das: ein vor Egozentrik zusammengezogener galaktischer Nebelfleck, in Gefahr zu implodieren.“ Sorry, aber so etwas lässt mich nur noch den Kopf schütteln und macht vielleicht auch deutlich, warum ebenjener Protagonist ein so unausgesprochenes Eheproblem mit sich herumträgt.

Fazit

Das werden leider nur 2,5 Lesesterne (aufgerundet 3) für diesen durchaus interessanten Roman, der sich mit inneren Konflikten und Sichtweisen beschäftigt, die ich generell gut nachvollziehen kann, hier aber nur mäßig umgesetzt sehe. Positiv beurteile ich hingegen die literarische Wertschätzung eines Menschen. Egal wie nah oder fremd uns eine Person stehen mag, menschliche Verbindungen leben von einem Gleichgewicht zwischen dem Nehmen und Geben, in diesem Text verschiebt sich der Adressat und wechselt die Seiten und dennoch erhält jeder Faktor eine Bedeutsamkeit, die auch nach dem Ende der Beziehung sichtbar bleibt.