Rezension

Hinter den Scheuklappen

Der Report der Magd
von Margaret Atwood

Ein irritierendes, bigottes Konstrukt, das vielschichtiger nicht sein könnte.

Es gibt Bücher, die schon vor dem Lesen eine Art Aura von Ehrfurcht in mir auslösen. Meist sind das Klassiker der Weltliteratur von Autor*innen, die sich einen Platz in den Annalen der Literaturgeschichte erkämpft haben. Solche Bücher zu Rezensieren, sehe ich mich quasi außer Stande. Wie kann ein so kleines unwissendes Licht sich an die großen Werke herantrauen und es auch noch wagen, eine Bewertung derselbigen auszusprechen? Da hilft nur eins - etwas Abstand von der Ehrfurcht gewinnen und versuchen, im Ansatz Leseeindrücke zusammenzufassen und wiederzugeben.

 

„Der Report der Magd“ war mein erstes Buch von Margarete Atwood und es hat viel zu lange auf dem SuB gelegen, viel zu lange habe ich gewartet, um den Einstieg in das Werk der Autorin zu wagen. Denn sie ist brillant - und zu dieser Ansicht komme ich bereits nach der Lektüre nur eines ihrer Bücher. Das darin beschriebene Gesellschaftssystem scheint zeitlich gesehen bereits morgen genau so umsetzbar zu sein und beinhaltet dennoch Ansätze, die ebenso gut aus dem Mittelalter stammen könnten. Solche Gegensätzlichkeiten ziehen sich durch die gesamte Geschichte und bilden ein irritierendes, bigottes Konstrukt. Atwood zeichnet eine patriarchalische Gesellschaft, in der Frauen gleichermaßen unterdrückt und zum wichtigsten Gute der menschlichen Rasse erhoben werden aufgrund ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären und somit den Fortbestand zu sichern. Diejenigen unter ihnen, die noch fruchtbar sind, werden den reichen, bedeutenden Herren als Magd unterstellt und haben ihnen zum Zweck der Fortpflanzung zur Verfügung zu stehen. Dieser Akt an sich erfolgt anhand eines festgelegten Rituals, das jegliche sexuelle Empfindung oder gar Befriedigung der Frau unterbindet. Generell ist Vergnügen in dieser Gesellschaft nicht gern gesehen, stattdessen pflegen die Menschen eine manische Religiosität, die gleichzeitig auch Legitimierung und Quelle des vorherrschenden Wertesystems ist. Vor diesem Hintergrund folgen wir der Stimme von Desfred, einer Magd, die uns an ihren Empfindungen teilhaben lässt. In ihr spiegeln sich Unterdrückung und Auflehnung, Resignation und Wut, Vorher und Nachher. Denn Desfred kennt das „Vorher“ und weiß um die Freiheit, die sie verloren hat. Sie ist die Stimme in unserem Kopf, die uns gleichsam zu Unterdrückten macht, ohne dass wir genau sagen könnten, wie es denn so weit hat kommen können. Sie ist die Feministin des Romans, ohne dass sie darum weiß. So unvermittelt, wie wir in die Handlung hineingeworfen werden, so unvermittelt fallen wir auch wieder hinaus. Denn der Report umfasst - wie es die Textsorte nun einmal will - nur einen kleinen Teilbereich der ganzen Geschichte. Was davor geschah oder danach geschehen wird, obliegt allein der Fantasie der Leser.

 

Fazit: Es ist nicht möglich, alle Facetten des Romans beim ersten Lesen zu erfassen. Atwood schreibt so vielschichtig und tiefgründig, dass zwar jeder diese Geschichte lesen kann, doch bei Weitem nicht jeder sie verstehen wird. Dennoch ist „Der Report der Magd“ eines der Bücher, über das sich jeder selbst eine Meinung bilden sollte. Ich vergebe 5 Sterne, einfach weil dieses Buch 5 Sterne bekommen muss und meine subjektive Meinung eigentlich keine Rolle spielt.