Rezension

"Ich will ja nicht klammern, aber..."

Herz über Board 1: Mein Sommer mit Jonah - Sina Müller

Herz über Board 1: Mein Sommer mit Jonah
von Sina Müller

Bewertet mit 2 Sternen

Inhalt

Nachdem Lin ihre beste Freundin Yvi und ihren Freund David zusammen im Bett erwischt hat, flüchtet sie kurzerhand als Animateurin in einen Camping-Club auf Sardinien. Ans Meer, in die Sonne, weit weg von allen Sorgen, von David und allgemein von Menschen, die ihr das Herz brechen.
Doch sie hat nicht mit Jonah gerechnet, ihrem überaus attraktiven Kollegen auf Sardinien, der zu allem Übel auch noch den Ruf eines wahren Casanovas innehat.

Meinung

Ich bin gerade in Stimmung für Liebesgeschichten und besonders im Sommer (und ganz besonders bei dem miesen Regenwetter, das hier aktuell herrscht) lese ich gerne Bücher, die eine sommerliche, leichte Liebesgeschichte versprechen. Ich habe nichts Tiefgründiges von "Herz über Board" erwartet, sondern einfach gute Unterhaltung.
Leider hat mich das Buch in dieser Hinsicht sehr enttäuscht und ging mir zum Ende hin nur noch auf die Nerven, auch wenn es mit leidtut, das hier so hart auszusprechen. Ich hoffe, dass ich meine Kritikpunkte hier halbwegs verständlich rüberbringen kann.

Um mit dem Positiven zu beginnen: Sina Müller versteht es, ihre Leser*innen auf das Sardinien zu entführen, einen den Sand förmlich zwischen den Zehen spüren und das Salz auf den Lippen schmecken zu lassen. Mehr als einmal verspürte ich beim Lesen Fernweh und überlegte, ob ein Job wie Lins nicht auch etwas für mich wäre.
Ebenfalls spürbar ist den ganzen Roman durch die Liebe zur Musik, wie sie von Lin und Jonah gelebt wird. Durch Lin, angehende Musicaldarstellerin, die die Geschichte erzählt, bekommt man mit, wie sehr Musik helfen kann, mit Schmerzen umzugehen, und wie Musik zwei Menschen verbinden kann. Die Beschreibungen in Bezug auf das Singen und gemeinsame Musizieren konnte ich gut nachvollziehen und sie haben mir sehr gut gefallen.

Auch die bunte Mischung an Nebenfiguren gefiel mir gut. Kirsten, Lins eher schüchterne Animationskollegin im Kids Club, kam zwar nicht viel vor, was auf mich aber authentisch wirkte, da sie als eher schüchtern beschrieben wird. Lola, Lins quirlige Kollegin/Freundin ging mir manchmal zwar gehörig auf die Nerven, war mir im Grunde aber auch sympathisch, was ich als gutes Zeichen in Bezug auf die Authentizität der Figur werte. Sebi, Peter, Maria und Polo bleiben alle halbwegs blass (In einem eher kurzen Buch ist ja auch nicht für alles Platz.), aber trotzdem durchaus sympathisch.

Den Großteil des Buches macht aber, wie der (Unter-)Titel schon erahnen lässt, die Geschichte von Lin und Jonah aus und die hat mich leider extrem genervt.

Das fing schon damit an, dass Jonah von Anfang als absolut gutaussehend, anziehend, geheimnisvoll und faszinierend beschrieben wird, ohne dass ich je so richtig nachvollziehen konnte, was an ihm denn jetzt so toll sein soll. Aber er ist auf jeden Fall anders als alle Männer, die Lin je getroffen hat, und bringt sie schon in den ersten zwei Minuten völlig durcheinander.
Und auch in Lin scheint Jonah etwas Besonderes zu sehen, denn er verhält sich ihr gegenüber auch total ungewöhnlich, was - da das Buch nur aus ihrer Perspektive geschrieben ist - nie genauer erklärt wird.

Von da an mutiert Lin immer mehr zum Schoßhündchen. Anfangs ist sie noch halbwegs schlagfertig und versucht, Jonah gegenüber selbstbewusst zu sein, was ich sehr begrüßt habe, auch wenn ich mir hier spritzigere Dialoge gewünscht hätte.
Doch sobald Jonah auch nur ansatzweise Interesse an ihr zeigt, ist es um sie geschehen. Ihr Herz explodiert fast, wenn sie ihn sieht, sie kann sich in seiner Nähe auf nichts konzentrieren - So weit bei starker Verliebtheit vielleicht noch normal, obwohl dies, soweit ich es mitbekommen habe, durch nichts als seine angeblich so geheimnisvolle Ausstrahlung, seine blauen Augen und seine tollen Muskeln erklärt wird.

Dass Lin aber schon nach wenigen Tagen andauernd rumjammert, sie würde es keine paar Stunden ohne ihn aushalten (und das obwohl sie gleichzeitig immer zweifelt, da er ja den Ruf eines Womanizers hat), und ziemlich schnell anfängt von Sehnsucht und sogar Liebe zu sprechen, fand ich wirklich traurig, da sie ihn zu diesem Zeitpunkt immer noch kaum kennt. Für meinen Geschmack fehlte es Lin häufig viel zu sehr an Selbstbewusstsein und vor allem Selbstachtung.
Ironischerweisem ist sich Lin sogar bewusst und Jonah weist sie auch darauf hin, dass er seine Freiräume braucht, und trotzdem jammert sie sogar ihn selbst voll, wenn er tatsächlich den Tag über arbeiten muss und sie sich deshalb nicht treffen können, und ist beleidigt, wenn er ihr (die er seit vielleicht zwei Wochen kennt) nicht erzählt, wo er abends hingeht, wenn er nicht bei ihr ist. So viel zum Thema "Ich will auf keinen Fall klammern."

Auch sie zieht beispielsweise die "Was findet er nur an mir? Ich bin doch total langweilig."-Nummer ab, die mir bei Buchfiguren immer total auf die Nerven geht.
Und tatsächlich rechtfertigt sie sein zum Teil verletzendes Verhalten ihr gegenüber damit, dass er ja auch eine schwere Vergangenheit hatte, und will ihn deshalb "nicht aufgeben". Als wäre sie dazu da, Jonahs Probleme zu lösen. Das "Sich selbst von Bad Boys, die einem  nicht guttun, abhängig machen" finde ich immer eine sehr fatale Botschaft, gerade in Jugendbüchern.

Lins Verhalten und ihre Gefühle und Gedanken ihm gegenüber sind generell völlig sprunghaft, aber nicht auf eine für mich nachvollziehbare Art.
Obwohl sie sich vorgenommen hat, keinem Mann mehr so schnell zu vertrauen, und weiß, dass Jonah den Ruf eines Herzensbrechers hat, verliebt sie sich aus für mich völlig unverständlichen Gründen Hals über Kopf in ihn, was sie mit haufenweise überaus kitschigen Beschreibungen andauernd betont.
Doch obwohl sie immer wieder erzählt, wie unglaublich geborgen und sicher sie sich bei ihm fühlt, bringt sie die winzigste Kleinigkeit, die auch nur entfernt andeuten könnte, dass Jonah doch nichts von ihr will, sofort zum Heulen, statt dass sie ihn darauf anspricht. Wodurch sich dann wieder die Frage stellt, wieso sie sich jemandem, dem sie so offensichtlich nicht vertraut, so verzweifelt an den Hals wirft.

In einer anderen, späteren Situation bringt er eine völlig unmögliche Bemerkung, die Lin auch zurecht auf die Palme bringt, aber klären die dieses Thema nochmal abschließend? Pustekuchen! Zwei Tage später ist es schon wieder verziehen, obwohl sie deswegen zunächst zurecht wütend auf Jonah war.
Am Ende gibt es dann eine Szene, in der Lin sich vornimmt, etwas mit Jonah zu klären, doch als er das dann keine halbe Stunde später tun will, ist für sie plötzlich nicht mehr der richtige Zeitpunkt.

Generell fehlte mir bei Lins und Jonahs Beziehung komplett die Substanz. Dass er äußerlich attraktiv ist und ihn die geheimnisvolle Bad Boy-Aura umgibt, hat man schnell verstanden, und ich war auch noch halbwegs interessiert an den schlechten Erfahrungen, die ihn dazu gebracht haben, sich ebenfalls nach Sardinien zu flüchten. Außer ihrer Liebe zur Musik fehlte es aber leider sowohl Lin als auch Jonah in meinen Augen an irgendwelchen einprägsamen Charaktereigenschaften, die mir die beiden sympathischer und es mir verständlicher gemacht hätten, was die beiden aneinander finden. Insbesondere was Jonah an Lin findet, blieb mir das Buch über völlig schleierhaft. Außer natürlich dass sie gut aussieht, was er ihr auch sagt.
Hinzu kommt, dass die ganze Beziehung der beiden in meinen Augen einfach viel zu schnell ging, zumindest gemessen daran, welche Bedeutung ihr von Lin beigemessen wird.

Jonah bleibt als Charakter auch relativ blass. Seine geheimnisvolle Hintergrundgeschichte (die er natürlich haben muss, weil Männer ohne dramatische Hintergrundgeschichte langweilig sind) erfährt man noch und durch einige Kapitel aus seiner Sicht erfährt man etwas mehr über seine vorherigen Sommer auf Sardinien. Die Erklärung für seine "Wer kann mit den meisten Frauen schlafen?"-Wette ist jedoch eher mau und dadurch, dass es keine Kapitel aus seiner Sicht in der Gegenwart gibt, blieb es mir auch völlig schleierhaft, was er an Lin toll findet.
Für meinen Geschmack spielt er sich auch zu oft als starker Mann und Beschützer auf und tut so, als sei er für Lin verantwortlich, obwohl sie genau wie er erwachsen ist. Und Lin scheint damit nicht mal ein Problem zu haben, denn auch sie sagt an einer Stelle, jetzt sei Jonah nicht mehr für sie verantwortlich - als wäre er es vorher gewesen. Auch diese Darstellung von Beziehungen finde ich nicht mehr zeitgemäß und schwierig, wenn sie von den Figuren nicht wenigstens kritisch reflektiert wird.

Auch Lin fand ich leider eher langweilig. Alle Erwähnungen ihrer Musicalausbildung und die Szenen, in denen sie singt, mochte ich sehr gerne, doch außer singen und Jonah anschmachten oder ihm hinterhertrauern macht sie meinem Gefühl nach leider auch nicht viel und schon gar nichts, was Jonahs Interesse an ihr erklären könnte.

Insgesamt war mir das Buch leider für meinen Geschmack auch zu kitschig. Meinem Gefühl nach bestand es zu 80% aus schwülstigen Beschreibungen von Lins großer Liebe und Sehnsucht nach Jonah und ihren Schmerzen, wenn er nicht da ist, und und und und nur zu 20% aus wirklicher Handlung, die die Figuren oder ihre Beziehung weiterentwickelt hätte. Einige der Beschreibungen waren mir persönlich auch einfach zu viel des Guten (zB spürt Lin Jonah an eine Stelle tief in ihrer Seele) und irgendwann hatte ich auch das Gefühl, dass die Autorin sich bei den Beschreibungen wiederholt.
Oft beschreibt Lin ihre Gefühle auch spontan auf so ausführliche und gut formulierte Art, dass ich immer wieder den Eindruck hatte, dass Menschen so niemals reden sondern höchstens ihre Gefühle im Nachhinein so beschreiben würden.
Unangenehm fand ich auch das Einbauen einiger englischer Wörter in Sätze, in denen man auch ein völlig normales deutsches Wort hätte gebrauchen können. Ich habe zumindest noch nie jemanden über "Girls" reden oder "einen Joke machen" hören. Wenn das jugendlich sein soll, bin ich mit meinen 19 Jahren wohl schon zu alt dafür.

Fazit

Ich hatte von "Herz über Board" eine sommerlich-leichte Liebesgeschichte erwartet und zumindest das traumhafte Setting auf Sardinien und die liebenswerten Nebenfiguren erfüllten diese Erwartung auch. Die dominierende Liebesgeschichte des Buches fand ich jedoch leider kein bisschen nachvollziehbar und sie ging mir
viel zu schnell. Die Hauptfigur war mir zu weinerlich und unselbstständig und hängte sich für meinen Geschmack viel zu schnell an einen Mann, dessen Qualitäten (abgesehen von seinem Aussehen) ich beim besten Willen nicht erkennen konnte.
Leider kann ich deshalb nur 2 Sterne vergeben, auch wenn mir das für die Autorin, die ich sehr sympathisch fand, leidtut.