Rezension

Indische Kolonialgeschichte verpackt in einen Kriminalfall

Ein angesehener Mann - Abir Mukherjee

Ein angesehener Mann
von Abir Mukherjee

Bewertet mit 3 Sternen

Allgemeines:

Abir Mukherjees Debütroman Ein angesehener Mann ist 2016 auf Englisch und im Juni 2017 auf Deutsch bei Heyne als Taschenbuch erschienen. Der Roman hat 511 Seiten. In England schaffte Ein angesehener Mann es sofort auf die Bestsellerliste. Die Kritiken sind ausgesprochen positiv und durchweg von Superlativen geprägt. Im Klappentext steht „Sam Wyndham 1“, daher ist davon auszugehen, dass eine Fortsetzung geplant ist.

Inhalt:

„Kalkutta 1919 – die Luft steht in den Straßen einer Stadt, die im Chaos der Kolonialisierung zu versinken droht. Die Bevölkerung ist zerrissen zwischen alten Traditionen und der neuen Ordnung der britischen Besatzung.

Aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, findet sich Captain Sam Wyndham als Ermittler in diesem Moloch aus tropischer Hitze, Schlamm und bröckelnden Kolonialbauten wieder. Doch er hat kaum Gelegenheit, sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen. Denn ein Mordfall hält die ganze Stadt in Atem. Seine Nachforschungen führen ihn in die opiumgetränkte Unterwelt Kalkuttas – und immer wieder an den Rand des Gesetzes.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Um dieses Buch auch nur annähernd verstehen zu können, muss man zumindest Eckdaten der Geschichte Kalkuttas kennen. (Diese werden im Buch leider nicht gegeben.): Mit der Gründung eines Stützpunktes der Britischen Ostindien-Kompanie im Jahr 1690 wurde Kalkutta zu einem der Zentren des Britischen Empires in Indien. Bis 1911 war Kalkutta die Hauptstadt Britisch-Indiens.

Die Geschichte, die Abir Mukherjee erzählt, spiegelt eben diese Situation wider: Kalkutta in den 1920er Jahren ist geprägt von Zerrissenheit. Die britische Regierung dominiert, die indische Bevölkerung wird diskriminiert und hat so gut wie keine Chancen, auch nur annähernd sozial aufzusteigen. Die Briten regieren mit harter Hand und die Inder nehmen dieses in weiten Teilen hin. Ein Vergleich zur Apartheid in Südafrika bietet sich an.

Mukherjee erzählt gut. Er versucht, möglichst viele Facetten des Lebens in Kalkutta abzubilden. Da es in diesem Buch leider kein Glossar gibt, das Namen, kulturelle Besonderheiten, Dienstränge, … erklärt, ist das Lesen jedoch sehr mühsam. Die erzählte Geschichte tritt in den Hintergrund, weil man damit beschäftigt ist, die Zusammenhänge zu verstehen. Das ist äußerst anstrengend. Vielleicht ist das Buch in England so frenetisch gefeiert worden, weil dort ein Bezug zur Kolonialgeschichte Kalkuttas besteht, anders als diesen der deutsche Leser herstellen kann.

Der britische Ermittler Sam Wyndham ist die zentrale Figur der Geschichte. Er hat England aufgrund eines schweren Schicksalsschlages verlassen, hat Grausames im ersten Weltkrieg erlebt und ist daher opiumsüchtig. Er ist klug, hat keine rassistisch geprägten Vorurteile und wundert sich sehr über die Haltung der Polizei vor Ort. Ihm zur Seite gestellt ist Digby, ebenfalls Brite, aber in der Karriereleiter übergangen worden. Genauso sympathisch wie Wyndham ist Banerjee oder Surrender-not, wie er abfällig von Digby genannt wird, der sich seinen Namen nicht merken kann oder will. Er ist einfacher indischer Polizist, ist klug, erlebt jeden Tag diskriminierende Situationen, lässt sich seinen Humor aber nicht nehmen. Er scheint Wyndham treu ergeben zu sein.

Gemeinsam haben die drei einen Mordfall zu lösen, der sie tief in die Strukturen der Gesellschaft Kalkuttas vordringen lässt.

Fazit:

Dieses Buch kann ich nur empfehlen, wenn man bereit ist, sich mit der indischen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Sonst ist der ansonsten gut erzählte Kriminalfall nicht wirklich zu verstehen.