Rezension

Informativer Einblick in die Geschichte der Medizin und der Religionen ​

Der Medicus - Noah Gordon

Der Medicus
von Noah Gordon

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

England im 11. Jahrhundert: Der junge Rob Cole verliert früh seine Eltern. Ein fahrender Bader nimmt ihn als Lehrling auf und lehrt in neben allerlei unterhaltenden Kunststückchen auch rudimentäre Kenntnisse der Medizin. Doch Rob, der die Gabe hat, den nahenden Tod eines Menschen zu spüren, ist damit nicht zufrieden. Er will Medizin studieren an der Madrassa, einer renommierten Universität für Medizin im Nahen Osten. Doch dort werden nur Juden und Moslems als Studenten aufgenommen. Rob schmiedet einen gefährlichen Plan.

 

Meinung

Obwohl Noah Gordon im Nachwort darauf hinweist, dass nicht alle von ihm genannten historischen Fakten korrekt dargestellt sind, bietet „Der Medicus“ einen spannenden Einblick in das Leben im 11. Jahrhundert. Die Handlung konzentriert sich dabei vor allem auf zwei sehr interessante Themen: die Entwicklung der Medizin und das Zusammenleben der Religionen. Dabei wird geschickt zwischen Europa und dem Nahen Osten verglichen.
Am Beispiel von Robs Kindheit und seiner Zeit mit dem Bader wird farbenfroh aber auch schonungslos realistisch die primitive Lage der Medizin in Europa zu dieser Zeit beschrieben. Robs Mutter stirbt bei der Geburt, der Bader „behandelt“ seine Patienten mit einem „Universalspecificum“, das aus Alkohol und ein paar Gewürzen besteht, und Krankheiten, die ihn wirklich beschäftigen, kann Rob nicht verstehen, geschweige denn heilen.
Die Herangehensweise in Isfahan ist eine deutlich wissenschaftlichere. Hier gibt es ganze Bücher über Medizin, die menschliche Anatomie und die Entwicklung von Krankheiten. Man versucht die Krankheiten zu verstehen und behandelt sie systematisch, in einem richtigen Krankenhaus.
Mit Rob mitzuerleben, dass die Wissenschaft der Medizin damals im Nahen Osten so viel weiter entwickelt war als in Europa, ist wirklich spannend, da dies ein Thema ist, über das heutzutage kaum noch gesprochen wird.

Interessant wird es dann, als Religion, die damals für die meisten Menschen noch eine größere Rolle spielte als heute, und Wissenschaft aufeinandertreffen.
Der wissbegierige Rob stößt an seine Grenzen, als es darum geht, die Ursachen für die „Seitenkrankheit“ (Blinddarmentzündung?) herauszufinden. Denn dafür müsste er Tote obduzieren und das ist nach dem Glauben der drei großen Religionen Islam, Judentum und Christentum streng verboten und in Isfahan daher unmöglich.
Dadurch gibt es im Roman einige recht philosophische Überlegungen darüber, was man zum Wohle von Menschen mit Menschen tun darf oder nicht. Rob bringt unter anderem die Doppelmoral zur Sprache, dass die Menschen einander im Krieg abschlachten und Verbrecher dem Gesetz nach verstümmeln oder sogar hinrichten, aber das Obduzieren bereits Toter zum Wohle der Medizin zu verbieten.
Spannend ist auch, wie sich die Medizin stattdessen zu helfen wusste und versuchte, ihr durch die Obduktion fehlendes Wissen durch andere verfahren auszugleichen.
Auch andere Arten, auf die die strenge Ausübung von Religion die Wissenschaft behindert hat, werden durch die Geschichte indirekt behandelt, beispielsweise die Verfolgung von „Hexern“ - häufig Menschen, die sich „zu“ gut mit Heilmitteln auskannten.

Auch die Thematisierung des Zusammenlebens von Menschen verschiedener Regionen ist durchaus spannend dargestellt, besonders im Kontrast zwischen Europa und Persien. Während Juden in Europa zu der Zeit nicht gerne gesehen sind und häufig schlecht behandelt werden, sind sie in Isfahan respektiert und dürfen - im Gegensatz zu Christen - sogar an der Madrassa studieren. Rob freundet sich in Isfahan mit einem Juden und einem Moslem an und diese Freundschaft ist ein schönes Beispiel dafür, dass Menschen am Ende doch alle Menschen sind, egal woran sie glauben.
Während seiner Reise nach Isfahan verbringt Rob eine Menge Zeit mit Juden und so lernt man mit ihm viel über deren Kultur und ihre Traditionen, was ebenfalls sehr informativ ist.
In seiner Zeit in Isfahan kommen dann Informationen über den Islam und seine Auslegung im Mittelalter hinzu, beispielsweise über die Umsetzung der Scharia als Gesetz, das politische System mit dem Schah an der Spitze und das Konzept von Harems.

Neben all diesen Informationen werden einem auch einige der Figuren nähergebracht, wobei deren Emotionen eher neutral und von außen beschrieben werden. Daher wirkt die Liebesgeschichte, die am Rande stattfindet, auch eher sachlich als romantisch.
Dennoch ist Rob mit seinem guten Willen und seinem Wissensdurst sehr sympathisch und auch seine Freundschaft zu Karim und Mirdin sowie seine eher konfliktreiche Beziehung zum Scha sind interessant zu verfolgen. Gerade in Rob werden auch der Konflikt zwischen Wissensdurst und Religion wunderbar vereint, da Rob ebenfalls gläubig ist, dies jedoch mit der Wissenschaft vereinen kann und die Auslegung heiliger Schriften auf intelligente Art hinterfragt.

Mit dem Schreibstil hatte ich jedoch mitunter Probleme. Er ist, wie bereits erwähnt, recht neutral gehalten, was zum Teil auch vulgäre Begriffe wie „pissen“ und „ficken“ beinhaltet. Es gibt einige Sexszenen, die eher anatomisch als erotisch gehalten sind, wobei es durchaus spannend ist, wie offen Menschen bereits damals scheinbar mit dem Thema umgingen.

 

Fazit

„Der Medicus“ ist ein sehr informativer Roman über das Leben im Mittelalter in Europa und im Nahen Osten, insbesondere über Religion und die Entwicklung der Medizin.