Rezension

Jahreshighlight!

Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder -

Goldkehlchen – Erinnerungen voller Lieder
von Adriana Popescu

Bewertet mit 5 Sternen

"Musik, das verstehe ich endlich, bietet für die Mitglieder dieses Chors eine Fluchttür aus ihrer aktuellen Situation […]. Und das ist gerade wichtiger als eine perfekt gesungene Note."

Puuuuuh! Normalerweise wage ich mich so gut wie nie an Bücher heran, in denen schwere Krankheiten thematisiert werden. (Zumindest nicht vorsätzlich, im Gegenteil: Meistens versuche ich sogar, Themen dieser Art bewusst zu vermeiden, da ich mich kenne und weiß, dass ich immer enorm mit den Figuren mitleide und die Lektüre mich folglich zu 99% deprimiert zurücklassen wird. Aber hier klang der Klappentext einfach zu vielversprechend (zumal ich selbst liebend gerne singe) und im Nachhinein bin ich so, so, soooo froh, dass ich diesen grandiosen, herzerwärmenden, lebensbejahenden Roman nicht verpasst habe.

Habe ich wie erwartet mitgelitten? Definitiv! Haltet vorsichtshalber ein paar Taschentücher parat, denn … ich kann euch sagen, es sind so einige Tränen bei mir geflossen. Kein Wunder bei diesem feinfühligen Schreibstil, mit dem die Autorin, im wahrsten Sinne des Wortes, immer den richtigen Ton trifft und sich direkt in mein Herz geschrieben hat. Klug und humorvoll, lebensnah und ungemein glaubwürdig, herzzerreißend tragisch und zugleich voller Lebensfreude … Solch ein ernstes Thema dermaßen on point darzustellen und den Fokus auf eine Krankheit zu legen, ohne dass es ein niederschmetternder Read wird … gut recherchierte Fakten einfließen zu lassen, ohne dass es wie das Abhaken einer Info-Liste klingt … und obendrein gleich mehrere ungemein sympathische Charaktere zu erschaffen, die sich durch ihre individuellen Besonderheiten auszeichnen - dazu braucht es wahrlich einiges an Schreibtalent.

Kurzum: Dieses Buch ging mir einfach total unter die Haut und am liebsten hätte ich den Charakteren im Seniorenheim Schattige Pinie direkt einen Besuch abgestattet.

Erster Eindruck von Toni: Sehr sympathisch. Ich konnte ihre Aufregung vor der ersten Chorprobe komplett nachvollziehen, fand es super, wie perfekt sie vorbereitet war. Dann ein kurzer Schreckmoment: Ist DAS etwa ihre wahre Motivation - anerkennende Blicke aus dem Freundeskreis zu ernten? 'So oberflächlich wird sie doch wohl nicht ernsthaft sein', dachte ich entsetzt. Zum Glück stellte sich diese Sorge direkt als Trugschluss meinerseits heraus, denn Antonia hat das Herz sehr wohl am rechten Fleck. Mehr als das. Sie sieht die Menschen wirklich, mit allem, was sie als Person ausmacht.

Dass Toni anfangs von Frau Henke und Bolle etwas Paroli geboten bekam (mal ganz abgesehen vom 'schwäbischen Sinatra', dessen Einwände sich jedoch eher auf die musikalischen Leistungen des Chors bezogen), gefiel mir dennoch super, denn auch wenn es unberechtigt war, sprach die Autorin damit ein paar unbequeme Wahrheiten an, die einige Leser:innen gewiss dazu verleiten werden, innezuhalten und die eigenen Gedanken zu hinterfragen.

Dank kurzer Rückblicke erfahren wir mehr über das Leben der einzelnen Chormitglieder und keine Sorge: Ihr werdet nicht durcheinanderkommen im Hinblick auf die Figuren, versprochen. Der Aufbau der Geschichte ist nämlich perfekt strukturiert und rundum stimmig.

Ein weiteres Highlight: Die Hintergründe zu den einzelnen Herzensliedern haben mich sehr berührt. Manche der Songs kannte (und liebte) ich bereits, zwei kannte ich noch nicht, aber alle dieser (praktischerweise auch in einer Playlist zusammengefassten) "Lieder gegen das Vergessen" werden mich ab sofort immer an dieses wunderbare Buch erinnern.

Fazit:
Ein Plädoyer für ein liebevolles Miteinander, das Älterwerden, die Liebe zur Musik. Schonungslos echt und zugleich voller zauberhafter Momente … wie das wahre Leben eben. Für mich eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Ab-so-lu-te und uneingeschränkte Leseempfehlung!