Rezension

Kein richtiger historischer Roman

Die Venezianerin - Christa Kanitz

Die Venezianerin
von Christa Kanitz

Auf einem Streifzug durch die Stadtbibliothek bin ich mal wieder vor dem Regal mit den historischen Romanen gelandet. Und vor einem Buch von Christa Kanitz. Ich hatte schon mal was von der Autorin gehört, konnte mich aber nicht daran erinnern, schon mal etwas von ihr gelesen zu haben. Also griff ich zu dem Roman „Die Venezianerin“, in dem die Familiengeschichte der Familie Iserbrook erzählt werden sollte (in mehreren Bändern – „Die Venezianerin“ ist Band 1).

Iserbrook ist ein Hamburger Stadtteil, also hoffte ich auf eine gut recherchierte historische Familiengeschichte.

Doch schon bevor ich anfing, das Buch zu lesen, wurde ich enttäuscht. Nach einer kurzen Recherche im Internet war klar: Es gab in Hamburg nie eine Familie Iserbrook, der Name des Stadtteils hat andere Wurzeln. Die Frage der gut recherchierten Familiengeschichte war also schon mal hinfällig. Aber egal, ich wollte mich davon erstmal nicht beeindrucken lassen. Auch erfundene Familiengeschichten können in einen großartigen historischen Kontext eingebettet sein.

Leider wurde ich auch in dieser Hinsicht enttäuscht. In der Geschichte geht es darum, dass der Erbe der Hamburger Gewürzdynastie Iserbrook frühzeitig verstirbt. Dessen Witwe muss also zwangsläufig ins Familiengeschäft einsteigen, als auch sein Vater verstirbt und kein Erbe bereitsteht. Und das in einer Zeit (1815), in der Frauen im Geschäftsleben eigentlich nichts zu suchen haben. Irgendwann taucht auch noch der nichtsnutzige Zweitgeborene auf, der um das Erbe seines Vaters kämpfen will.

Nach sinnlosen Streitigkeiten fangen die beiden schließlich auch noch an, miteinander anzubandeln. Neben diesem ganzen wunderschönen Herzschmerz- Gedöns in gestelzt- altertümlicher Sprache, die beweist, dass die Autorin keinerlei Gespür für die Zeit hat, in der sie ihre Geschichte ansiedelt, kommen so gut wie keine historischen Fakten auf den Tisch.

Von einer Belagerung Hamburgs ist am Anfang die Rede und von oberflächlichen Fakten des Gewürzhandels und des beschwerlichen Reisens. Tiefergehend wird die Zeit leider nicht beschrieben. Das, was man erfährt, hätte man auch in 20 Minuten googeln herausfinden können. Ach, Reisen quer durch Europa waren 1815 beschwerlich? Ach, guck. Hätte ich ja gar nicht gedacht. Wie es gab noch keine Autos? POSTKUTSCHEN? Nein, was du nicht sagst.

Dem Leser werden völlig offensichtliche historische Fakten bis zum Erbrechen offenbart. Alles andere, das dahinter, den Umgang der Menschen mit den Bedingungen der Zeit, wird ausgespart.

Schade. Der Anfang des 19. Jahrhunderts ist ein faszinierender Abschnitt der deutschen Geschichte, die unweigerlich auf eine Revolution hinsteuert und dies doch noch nicht wahrhaben will.

Auch die Familien- oder Gesellschaftsverhältnisse wären interessant gewesen zu beleuchten.

So verkommt das Buch leider zu einer allzu leichten Schmonzette, der der historische Hintergrund wohl den Anschein von etwas barbarischem Thrill geben soll, der aber auch nicht vorhanden ist, da das Buch in der obersten Gesellschaftsschicht Hamburgs spielt – also unter völlig normalen zivilisierten Leuten.

Die Geschichte an sich ist dabei nicht mal schlecht, aber diese noch dazu kommende Kürze des Romans lässt auch keine tiefergehenden Gefühle oder irgendwelche undurchschaubaren Verstrickungen zu.

Christa Kanitz hat übrigens neben der „Gewürzhändler- Saga“, die sich mit der Familie Iserbrook beschäftigt, auch noch eine Reihe über die Familie Stelling geschrieben – angelehnt an den Hamburger Stadtteil Stellingen.

Und auch diese Familie scheint erfunden zu sein, was ich extrem schade finde und für mich den Eindruck macht, als seien die Bücher eine Art Mogelpackung für alle, die historische Romane im Allgemeinen lesen und lieben und gut recherchierte Familiengeschichten im Speziellen mögen.