Rezension

Korruption im Reich der Mitte

99 Särge - Xiaolong Qiu

99 Särge
von Xiaolong Qiu

Geboren und aufgewachsen in Shanghai, übersetzt der Autor Qiu Xiaolong nach seinem Studium der Anglistik und Literaturwissenschaft amerikanische Klassiker der Kriminalliteratur in seine Muttersprache. Ende der achtziger Jahre erhält er ein Stipendium und reist zu Studienzwecken in die USA, und dass sein Aufenthalt dort bis zum heutigen Tag dauern würde, hat er mit Sicherheit damals nicht vermutet. Aber nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens beschließt er, nicht nach China zurückzukehren, wo er bis dato in St. Louis lebt, lehrt und schreibt.

Im Original erscheint im Jahr 2000 der erste Kriminalroman mit seinem Protagonisten Oberinspektor Chen Cao, in der deutschen Übersetzung 2003, und mittlerweile sind bereits sieben Bände der Reihe erschienen, in denen er nicht nur die chinesische Kultur beschreibt, sondern sich auch durchaus kritisch mit den Zuständen in seinem Heimatland auseinandersetzt.

So auch in Xiaolongs neuestem Krimi „99 Särge“, in dem sich der Autor wie schon so oft mit dem Thema Korruption auseinandersetzt: Der Direktor der Wohnungsbau-Behörde wird in einem Luxushotel mit einem Strick um den Hals aufgefunden. Hat er Selbstmord begangen oder wurde er wegen seines Lebenstils, der Verstrickungen in kriminelle Machenschaften vermuten lässt, ermordet? Wer ist für die Fotos und Informationen verantwortlich, die nach und nach im Internet auftauchen und zur Hetzjagd blasen? Und werden die 99 Särge wirklich benötigt?

Womit der Autor immer wieder punktet, sind die detaillierten Beschreibungen des alltäglichen Lebens in China, wobei Xiaolong kein Blatt vor den Mund nimmt und Korruption, staatliche Gängelung und Unterdrückung, kurz alle politischen Missstände dieses Landes aufzeigt, weshalb auch in seinem Heimatland ganze Passagen seiner ersten Romane der Zensur zum Opfer gefallen sind – mittlerweile legt er keinen Wert mehr darauf, dass seine Bücher dort erscheinen.

Die Kriminalromane Qiu Xiaolongs schätze ich weniger wegen der Krimihandlung, denn auch in dem vorliegenden Buch ist diese nicht nur vielschichtig, sondern auch reichlich verwirrend. Selbst bei konzentriertem Lesen bleibt es nicht aus, dass immer wieder Passagen und Entwicklungen im Handlungsverlauf auftauchen, für deren Verständnis man zu bereits Gelesenem zurückblättern muss.

Und dennoch - um politische Inhalte zu transportieren, bietet sich das Krimi-Genre förmlich an, erreicht der Autor so über den Unterhaltungsfaktor auch Leser, die nicht unbedingt zu einem Sachbuch über gesellschaftskritische Themen in Fernost greifen würden.