Rezension

Krass, krasser, Wrath James White

Schänderblut - Wrath James White

Schänderblut
von Wrath James White

Bewertet mit 4.5 Sternen

Joseph Miles, kurz Joe genannt, hat ein Problem. Allerdings geht es hier nicht um banale Dinge wie Mietschulden oder Liebeskummer. Joe ist ein Menschenfresser. Um es genauer zu erklären: Joe liebt es nicht nur, Menschenfleisch zu verzehren, es ist seine absolute sexuelle Erfüllung. In seiner Kindheit von einem kannibalistischen Sadisten gefoltert und missbraucht, sieht er sich nun selbst mit diesem mörderischen Verlangen konfrontiert, das von Tag zu Tag stärker und unkontrollierbarer wird. Einzig seine Theorie, unter einem möglicherweise heilbaren Virus zu leiden, der von seinem Peiniger auf ihn übertragen wurde, bewahrt ihm einen kleinen Rest Menschlichkeit. Wird der Tod von “Patient Null” ihn heilen? Joe macht sich auf den Weg, um es herauszufinden.

Ohne Zweifel hält die Inhaltsangabe des Romans “Schänderblut” von Wrath James White, was sie verspricht.
Wir betreten hier eine erbarmungslose Welt aus Blut, Fleisch, Schmerz und Sex. Der Klappentext dieses Buches lügt nicht und sollte vorab alle Leser mit empfindlichen Mägen und noch empfindlicheren Moralvorstellungen aussortieren. Allen, die es trotzdem wagen, sei an dieser Stelle gesagt “Heult nicht rum! Ihr wurdet gewarnt.”

Nun wird wahrscheinlich jeder, der schon Kannibalen-Stories gelesen hat denken: Ach, das kennen wir doch schon zur Genüge – nichts Neues. An dieser Stelle möchte ich diesen Gedanken direkt abwürgen, denn das stimmt so nicht.
Der Autor beschreibt nicht nur sehr detailliert die brutalen Szenen, es reiht sich nicht ein Splatter-Event an das Nächste und es wird nicht einfach nur sinnlos ein Mensch nach dem anderen gefressen. Hier ist sehr viel mehr geschehen. White schlüpft für den Leser in die Haut von Joe und liefert uns eine erstklassige Serienkiller-Psyche direkt aus der ersten Reihe – sozusagen ein Logenplatz. Ich will nicht behaupten, dass ich Joe mochte oder dass ich mein Okay für seine Taten geben würde. Aber eines tat ich gewiss: Ich brachte so etwas wie Verständnis für ihn auf und wünschte mir, dass diese ganze schreckliche Sache irgendwie gut für ihn ausgehen würde. White versteht es ausgezeichnet, Joes Beweggründe und innere Kämpfe in Szene zu setzen. Schritt für Schritt gleitet dieser immer tiefer in den Abgrund einer Obsession, die er im Grunde verabscheut. Es bildet sich ein starker Kontrast zwischen den Momenten sexueller und gleichzeitig kannibalistischer Raserei und den Momenten des Bedauerns und der Seelenpein, die sich in Joes Inneren die Klinke in die Hand geben.

Kann man mit einem triebgesteuerten Menschenfresser Mitleid haben? Ich glaube, das kommt auf die darstellerischen Möglichkeiten an. White hat diese in vollem Maße genutzt und ermöglicht somit die Beantwortung der zuvor gestellten Frage mit “ja”.

Nun haben wir also insgesamt eine Menge Gemetzel, reichlich Sex und eine nahezu brillante Charakterzeichnung. Trotzdem hat mir eine Kleinigkeit gefehlt. Ich kann nicht einmal sagen, was es genau war. Ich würde es gerne auf den eher nüchternen, emotionslosen Schreibstil schieben oder auf die Tatsache, dass immer wieder erwähnt wird, dass Joe exakt wie Superman aussieht, was ich irgendwie unfreiwillig komisch fand. Vielleicht geht dieses gewisse Etwas, das mir fehlte durch die Übersetzung verloren. Jedenfalls kann ich nicht wirklich konkretisieren, was mir gefehlt hat. Trotzdem habe ich das Buch in nur zwei nächtlichen Sitzungen verschlungen und werde ganz sicher weitere Romane von Wrath James White lesen wollen. Trotz des mir immer noch mysteriös erscheinenden Mankos war “Schänderblut” dennoch ein absoluter Pageturner.
Dieser Roman gehört zu der Sorte Bücher, die man erst einmal sacken lassen muss, bevor man dazu eine Meinung wiedergeben kann.

Eines glaube ich jedoch inzwischen sicher zu wissen. Bei “Der Teratologe” war es nicht White, der die Feder schwang. Sein Schreibstil ist mit dem von Edward Lee nicht vergleichbar. “Schänderblut” liest sich komplett anders.

Fazit:
Mit “Schänderblut” gelingt es Wrath James White, die Leser auf die Seite des Bösen zu ziehen. Sympathie und Mitleid für ein Monster? Alles ist möglich. Versucht es selbst, wenn Ihr Euch traut.

Kommentare

Chattys und DramaLamas Bücherblog kommentierte am 31. März 2014 um 13:01

Ich kann deine Meinung zu diesem Buch leider gar nicht teilen. Ich fand das Buch leider nur langweilig. Da bin ich wirklich ganz andere Sachen vom FESTA Verlag gewöhnt.

silencia kommentierte am 07. April 2014 um 11:48

Dafür schließe ich mich mal der Rezi an. Lange keinen solchen Pageturner gelesen. Da hab ich gestern sogar im - mittlerweile - eiskalten Badewannenwasser ausgeharrt. ;)