Rezension

langatmiger Erzähler in dystopischem Szenario

Die Privilegierten -

Die Privilegierten
von Thomas von Steinaecker

Bewertet mit 3 Sternen

Bastian Klecka muss sich eingestehen, dass er in seinem Alter allein nicht mehr auf dem Einsiedlerhof  im norwegischen Bindal überleben kann. Die Frist, die ihm nach Jahren der Naturbeobachtung bleibt, zählt er an schwindenden Vorräten und Tabletten ab. Der 1982 geborene Bastian hat in der Einsamkeit seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. An Papier oder Speichermedien scheint kein Mangel gewesen zu sein; sein  600-Seiten-Manuskript wirkt angesichts seiner Lebensumstände so banal wie detailverliebt. Thomas von Steinaeckers Icherzähler kann offenbar nur linear nacherzählen und Entwicklungen rückblickend nur schwer zusammenfassen.

Nach dem überraschenden  Tod von Bastians Eltern zog sein Großvater zu ihm ins Elternhaus in Oberviechtach in der Oberpfalz. Der Opa war Literaturprofessor mit Schwerpunkt Thomas Mann und legte Wert darauf, Bastian an Literatur und Kunst heranzuführen. Bastian, Madita und Erie, die einzigen Gymnasiasten, die Hochdeutsch sprachen, bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft, die bis ins Erwachsenenalter halten wird. Als Bastian sein Lehramtsstudium aufgibt und zunächst als Skripter für Fernsehformate arbeitet, gelingt ihm nur vordergründig die Abnabelung von den großväterlichen Werten. Später wird er Avatare für VR-Brillen entwickeln. Heirat und  Geburt eines Sohnes scheint er eher als Besitz vorzuweisen, als dass es ihn glücklich macht. Die Familie Klecka erlebt ihre Umwelt durch die Filter von Paar-Beratungs-Apps, Fitness-Trackern und dem bekannten Witze erzählenden Lautsprecher, der ihnen als Aufpasser für Samy dient.

Wendepunkte werden 2023 der Umzug in die gesicherte Wohnanlage „Strawberry Fields“ mit dem damals 10-jährigen Samy sein; (in die Zukunft fortgeschriebene) 10 Jahre später die Entfremdung von Samy. Der Junge soll offenbar seine Eltern glücklich  machen, indem er ihr bildungsbürgerliches Leben fortführt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Planet durch Umweltzerstörung, Seuchen und Rücksichtslosigkeit unbewohnbar geworden und Samy will dort arbeiten, wo er als Arzt gebraucht wird.

Die Eingangsszene in der norwegischen Einöde der nahen Zukunft lässt an einen dystopischen Roman denken, in dem die Welt unbewohnbar geworden ist. Das Rätseln darüber, wann diese Szene spielt, könnte den Spannungsbogen straffhalten. Allerdings stemmt sich der Erzähler mit der Langatmigkeit eines empathielosen Narzissten mit seinem 600-Seiten Backstein nach Kräften gegen jedes Lesevergnügen. Ich sage es ungern: selten habe ich mich so gelangweilt wie beim Bericht aus dem Universum der Kochshows und selten hat mich eine Figur mit ihrer weltfremden Egozentrik gegenüber Frau und Kind so genervt wie Bastian. Dass ihm beim Verfassen des Dokuments zunehmend die korrekte Schriftsprache abhandenkommt, ist angesichts seiner  Verwahrlosung in der Einsamkeit jedoch verständlich.

Fazit
Die Rahmenhandlung und die Fortschreibung der Zustände des Jahrs 2023 in die Zukunft klingen zwar vielversprechend; leider wird mir jedoch Bastian als Negativbeispiel einer Figur in Erinnerung bleiben, die nicht auf den Punkt kommen kann.