Rezension

Leider hat mich das Buch enttäuscht

Die Brücke vom Goldenen Horn - Emine Sevgi Özdamar

Die Brücke vom Goldenen Horn
von Emine Sevgi Özdamar

Vielleicht sollte ich aufhören, Bücher auf Empfehlung zu lesen. Vielleicht sollte ich auch aufhören, mich vorher über Bücher zu informieren. Denn die Kritiken zu Emine Sevgi Özdamars 1998 erschienenem Roman überschlugen sich ja förmlich. Umso schwerer fällt es mir jetzt, meine gemischten Gefühle in einer Rezension auszudrücken.

Vor einiger Zeit fiel mir das Buch dann in einer Buchhandlung ist die Hände und lag nun ziemlich lange auf meinem SuB (= Stapel ungelesener Bücher) herum.

Zweimal habe ich es bereits angefangen zu lesen und war stets begeistert von dem Anfang, der wunderbar witzig und poetisch daherkommt und mit großer Sprache und vielen kleinen inhaltlichen Finten überzeugt.

Dieser erste Teil erzählt die Geschichte der Hauptperson, einer jungen Türkin, die mit 18 Jahren nach Deutschland kommt, um in einer Berliner Fabrik für Radiolampen zu arbeiten. Sie berichtet mit viel Humor über diese ersten Erfahrungen in Deutschland, über ihre Versuche, die Stadt zu verstehen, über die anderen Frauen, die mit ihr im „Frauenwonaym“ leben. Auch ihre ersten Kontakte mit den „Deutschen“ werden berichtet und alles in allem ist dieser Teil wirklich nett.

Schließlich endet der Arbeitsvertrag und die Protagonistin kehrt in die Türkei zurück, um in Istanbul Schauspiel zu studieren und sich der kommunistischen Studentenbewegung anzuschließen, der sie auch schon in Deutschland angehört hat. An dieser Stelle sollte man vielleicht noch erwähnen, dass man die Geschichte in den 1960/70er- Jahren ansiedeln muss.

Und an dieser Stelle gibt es auf einmal einen Bruch in dem Buch, mit dem ich absolut mit mitgekommen bin.

Nachdem die junge Frau sich den Kommunisten bzw. Sozialisten angeschlossen hat, rückt ihre persönliche Geschichte, ihre persönliche Entwicklung total in den Hintergrund. Und das, obwohl es vorher eigentlich nur um eben diese ging.

Auf einmal beschreibt die Autorin nur noch sachbuchähnlich alle Ereignisse, die man in der Studentenbewegung der Türkei verorten kann.

Sie schreibt über politische Umbrüche, über Demonstrationen, über hungernde Bevölkerungsgruppen und sexuelle Freizügigkeit. Aber unsere Protagonistin hat damit nicht mehr viel zu tun, vielmehr stolpert sie mehr oder weniger naiv und dumm ab und zu in das ein oder andere Thema hinein, sodass die Autorin dann wieder seitenlang über alle politischen Vorkommnisse berichten kann, von denen die Hauptperson auch eigentlich gar keine Ahnung zu haben scheint. Vielmehr wird ihr ihre starke Stimme aus dem ersten Teil des Buches hier weggenommen und gegen die Stimme der Autorin ausgetauscht, die uns die Politik der Türkei der 1970er- Jahre näherbringt.

Soweit ist das ja auch legitim. Aber meiner Ansicht nach hätte Emine Sevgi Özdamar dann aus diesem Buch zwei Bücher machen müssen. Eins, das sehr autobiografisch angehaucht von der Reise einer jungen Türkin erzählt. Von der Türkei nach Deutschland, wieder in die Türkei und wieder nach Deutschland. Hier wäre viel Raum für persönliche Erfahrungen und zahlreiche Eindrücke gewesen, die ich sehr gerne gelesen hätte!

Leider liest sich der zweite Teil für mich wirklich wie ein Sachbuch, in dem (zugegebenerweise in schönerer Sprache als in einem Sachbuch) relativ stumpf Fakten und Daten aneinandergereiht werden, die irgendetwas mit der kommunistischen Bewegung zu tun haben.

Was das alles für Auswirkungen auf das alltägliche Leben hat, was die (relativ schlichten) Eltern darüber denken, was sich im Inneren der Protagonistin abspielt, als sie in ernsthafte Gefahr gerät – das wäre interessanter gewesen. Die Geschichtsfakten kann ich mir jederzeit selber anlesen und dabei kann ich auch auf überquellende Metaphern verzichten.

Schade, dieses Buch hat wirklich große Erwartungen in mir geweckt, die nur im ersten Teil erfüllt wurden. Ich weiß nicht wirklich, wo die schöne Sprache und die Metaphorik dann hingekommen sind. Ich habe sie nicht mehr gelesen.

Aber vielleicht sollte ich wirklich aufhören, mich vorher über Bücher zu informieren.