Rezension

Lesenswert

Deine Liebe fühlte sich an wie Hass - Olivia Rayne

Deine Liebe fühlte sich an wie Hass
von Olivia Rayne

Bewertet mit 4 Sternen

Trägt nicht nahezu jede Mutter heute wenigstens kleine Spuren einen Psychopathin in sich (...)?!

Olivia Rayne hat diesen Erfahrungsbericht 2019 unter Pseudonym veröffentlicht. Ihre Mutter ist nach außen eine nette, attraktive Frau und zuhause ein komplett anderer Mensch. Das kann ich von mir schon einmal nicht behaupten. Sie demütigt ihre Tochter, verbreitet Lügen über sie, zerstört ihre Freundschaften. So war es bei uns auch nicht. Es handelt sich um die Beschreibung einer toxischen Beziehung und den verzweifelten Kampf Olivas, geliebt und anerkannt zu werden und andererseits unter ihrer Mutter nicht psychisch unterzugehen.

Ich habe zu diesem Buch gegriffen, da ich im Rahmen ver Verfassung meiner eigenen Bücher (Generation Smartphone in der Pubertät, Band 1 wurde in 12.20 veröffentlicht/Band II soll zum Jahresende 2021 erscheinen) fundierte Recherchen zu Phänomenen, Mutter-Tochter-Beziehungen, Themen und Problematiken betreibe, die mit den Inhalten meiner Bücher korrelieren.

Dabei stütze ich mich auf Sachbücher, Erfahrungsberichte, aber auch Romane.

In Raynes Erfahrungsbericht tauchen z.B. auch Themen wie #Selbstverletzung #Ritzen (S. 157) und #Magersucht (S. 242) auf.

In meinem zweiten Band verschiebt sich die Perspektive ein wenig von der Tochter weg hin zur Mutter, um auch einmal den Anteil zu prüfen, den Erziehungsberechtigte respektive Mütter von Töchter an herben Konflikten und Krisen in der Eltern-Kind-Beziehung haben. Wenn eine Pubertät oder die Erziehung aus der Spur läuft, sind es meist äußere Auslöser, die nur den kleinen Tropfen darstellen, der das Fass zum Überlaufen bringt oder an denen sich eine Krise erst so richtig entzündet.Oft liegen dem meist Ursachen zugrunde, nach denen  in Eigenreflexion oder mittels Hilfe von außen tiefer geschürft werden sollte und die auch zeitlich weiter entfernt vom eigentlichen Konflikt liegen. Das verstellt so manches Mal den objektiven Blick auf den eigentlichen Krisenherd.

Das Buch lest sich sehr gut lesen und ist spannend, krimiesk, chronologisch aufgebaut, aus der Perspektive der Tochter, der Betroffenen, geschildert. Es fehlt natürlich die andere Perspektive, die der Mutter, da wir ja immer stets Opfer und Täter zu gleich sind. Die Motive der Mutter für ihr Verhalten, die Ursachen bleiben weitestgehend unbeleuchtet.

Ich empfehle dieses Buch für Mütter, die über ihre eigene Rolle in der Erziehung einer Tochter eingehender reflektieren wollen und ggf. bei sich die ein oder andere "Verhaltensauffälligkeit" bemerkt haben und vor allem für Mütter, die sich auch einmal in die Perspektive der eigenen Tochter versetzen wollen. Viele Reaktionen unserer Töchter sind - nicht immmer, aber immer öfter - Reaktionen auf unser Verhalten , stimulus und response - und entstehen so gut wie nie völlig unmotiviert. Das soll allerdings nicht heißen, dass Mütter grundsätzlich die Schuld daran tragen, wenn etwas aus dem Ruder läuft, wenn sich ihre Töchter ritzen oder magersüchtig werden, dazu ist das Konglomerat der Ursachen zu vielschichtig und viel zu sehr verwoben. Es gilt auch hier, einfach einmal genauer hinzuschauen und alles gründlich zu hinterfragen und den Perspektivenwechsel nie zu vergessen. Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen, tut immer gut und ist auch durchaus zielführend. Ich bin davon überzeugt, dass es kaum einen Menschen gibt, Ausnahmen bestätigen die Regel, der nicht den einen oder anderen psychopathischen Zug in sich trüge, vor allem auch wenn es um die Erziehung und die Beziehung der/mit den eigenen Kindern geht. Gerade in Zeiten von Corona, dem ewigen Zusammensein, dem Phänomen der "Helikoptereltern", der Hierarchieverschiebung zwischen Eltern und Kindern, dem ewigen Wunsch von Eltern, von ihren Kindern geliebt zu werden oder gar ihre besten Freunde zu sein, verschiebt sich so manches vom 'Normalen' in 'ungesunde Gefilde'.

Olivia Rayne zählt kapitelweise 20 Wesensmerkmale eines Psychopathen auf. Es geht auch nicht darum, Eltern ein bestimmtes Krankheitsbild zuzuweisen oder sie als psychisch gestört zu kategorisieren, es geht mir als Autorin darum, darauf aufmerksam zu machen, dass es manchmal an einer Stelle der Erziehung zu viel sein kann, während es an einer anderen Stelle fehlt. Kinder und Jugendliche brauchen Freiheit und haben auch ein Recht auf Privatsphäre und Individualität, die Symbiose mit der Mutter sollte ab dem 9. Lebensmonat des KIndes in 'normale' Bahnen gelenkt werden, das heißt aber auch nicht, dass wir nicht dann genau hinschauen und eingreifen sollten, wenn Gefahr im Verzug ist. Dieser Spagat wird in Raynes Buch nicht deutlich, da Olivia nur ihre eigene Perspektive im Blick hat und beschreibt, was das morbide Verhalten ihrer Mutter mit ihr macht. Der ganze Erfahrungsbericht wirkt teilweise so irreal, dass man das Gefühl hat, es handele sich um reine Fiktion, vor allem das mütterliche Arrangieren von Beziehungen für Olivia und das Zerstören ihrer Freundschaften wirkt auf mich persönlich absurd und weltfremd.  Doch so spielt das Leben. Es gibt manchmal Geschichten, die könnte ein Autor sich gar nicht ausdenken. Die unsrige ist ähnlich absurd geartet. Als etwas gewöhnungsbedürftig empfinde ich das Ausmaß an Hörigkeit von Olivia gegenüber ihrer Mutter bis zum Alter von 19 Jahren. Dass ihr der Befreiuungsschlag erst so spät gelingt, gibt zu denken. Der Erfahrungsbericht ist auf jeden Fall hilfreich, um zu erkennen, über welche "Macht" Mütter hinsichtlich der "Seele" ihrer Kinder verfügen und dass es nicht nur die Kinder/Jugendlichen sind, die uns Wunden und Narben zufügen: Das Messer sticht in beide Richtungen zu.