Rezension

Macht, Gewalt, Geld und Korruption

Der stumme Zeuge - Edney Silvestre

Der stumme Zeuge
von Edney Silvestre

Bewertet mit 3 Sternen

Eine interessante gesellschaftskritische Analyse Brasiliens, verpackt in eine Kriminalgeschichte.

Sao Paulo/Brasilien: Olavo Bettencourt hat alles im Leben erreicht - er ist Inhaber einer bedeutenden Werbeagentur, hat eine bildhübsche Frau und einen Sohn, der einmal seine Nachfolge antreten soll, und er ist mit allen bekannten Persönlichkeiten von Politik und Wirtschaft befreundet, für die er ihre dunklen Geschäfte abwickelt und dafür lukrative Aufträge erhält. Doch dann erscheint plötzlich ein Inspektor der Bundespolizei mit der Nachricht, seine Limousine wäre überfallen, der Chauffeur erschossen und sein Sohn entführt worden. Aber es war nicht sein Sohn, es war der taubstumme Junge seiner Hausangestellten Irene, der sich im Wagen befand. Während Bettencourts Frau Mara entsetzt und fassungslos reagiert, will er diesen Umstand für seine Zwecke ausnutzen und fasst einen perfiden Plan …   

Der Autor Edney Silvestre wurde 1950 in Brasilien geboren und ist in seinem Heimatland ein bekannter Journalist und Fernsehmoderator. Nach mehreren Jahren als Korrespondent in New York lebt er heute wieder in Brasilien. „Der stumme Zeuge“, 2011 im Original erschienen, ist sein zweiter Roman.

Wer einen klassischen Kriminalroman erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Die Entführung eines Kindes ist hier der Aufhänger, um die korrupten Machenschaften von Politik, Finanzwelt und Polizei in Brasilien gegen Ende der 1980er Jahre aufzuzeigen. Es gibt keine Ermittlungen, und die wahren Verbrecher sind eher die Herren der Elite als die kleinen Gangster. Was uns der Autor bietet ist eine unterhaltsame Analyse der Klüngelwirtschaft zwischen den einzelnen Interessengruppen und eine interessante psychologische Studie menschlichen Verhaltens in Stresssituationen. Das Geschehen spielt sich innerhalb zwei Tagen ab, unterbrochen von gelegentlichen Rückblenden, wechselt rasch zwischen den verschiedenen Protagonisten und  Schauplätzen und zeichnet somit eine Momentaufnahme im Leben verschiedener Gesellschaftsschichten. Da der kriminalistische Teil leider nur als Nebenstory mitläuft, hat die Geschichte auch kein richtiges Ende. Für einige Personen war es ein Wendepunkt im Leben, andere haben Veränderungen zu erwarten – ansonsten bleibt alles offen.

Fazit: Unterhaltsame Story über die korrupten Verhältnisse in Brasilien Ende der 1980er Jahre. Die Bezeichnung „Kriminalroman“ fand ich irreführend, daher von mir Punktabzug.