Rezension

Manchmal ist weniger mehr...

Schweigen ist Goldfisch - Annabel Pitcher

Schweigen ist Goldfisch
von Annabel Pitcher

Es gibt Bücher, die so außergewöhnliche und bewegende Geschichten in sich beherbergen, dass sie viele ihrer Leser nicht loslassen. Wenn mich jemand nach einem guten Buch fragt, empfehle ich immer genau diese Geschichten und dabei fällt mir stets eine Autorin ein: Annabel Pitcher. Diese junge Autorin hat mich bisher immer mit ihren Werken begeistern können und ich habe mich buchstäblich in ihren außergewöhnlich schönen Schreibstil, mit dem sie ihre bewegenden Themen beschreibt, und in ihre literarischen Figuren verliebt. Bei „Schweigen ist Goldfisch“, ihrem neuen Roman für etwas jüngere Leser, erging es mir jedoch etwas anders.

Gesprochene oder niedergeschriebene Worte können so verletzend sein, dass man, wenn man sie hört oder liest, keine Erklärung dafür findet, um zu beschreiben was eben diese Worte, tief in unserem Innersten ausgelöst haben. Meist bleibt dann eben nur ein Ausweg: Man zieht sich zurück. Auch Tess, der fünfzehnjährigen literarischen Hauptfigur aus „Schweigen ist Goldfisch“, fehlen die Worte, nachdem sie durch eine zufällige Begebenheit, auf eine sehr unglückliche Weise erfahren hat, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist. Seitdem schweigt Tess. Doch in ihr tobt ein lauter und erbitterter Kampf, denn ihre bislang heile Welt liegt in Trümmern und sie weiß nicht mehr, wem sie noch vertrauen kann. Sie sehnt sich nach Antworten, ist aber nicht fähig mit jemandem darüber zu sprechen.

„Die anderen können sie vielleicht nicht hören, aber da sind Wörter, Tausende von Wörtern, sie wirbeln unter der Oberfläche wie Flocken in einer Schneekugel und werfen sich lautlos gegen das Glas. Und ich werde es nicht zerschmettern. Für niemanden.“ Seite 202

Die etwas pummelige Außenseiterin Tess, die sich gerne als große, dunkle und lauernde Gewitterwolke am Horizont sieht, führt uns durch die Geschichte und berichtet teilweise in einer sehr poetischen Sprache, von einem großen Einschnitt in ihrem Leben und von den Folgen. Tess erzählt aber auch von einer wichtigen Freundschaft, die auf eine harte Probe gestellt wird und von kleineren Problemen, mit denen sie in ihrem Schulalltag zu kämpfen hat.  Sie ist eine sehr interessante literarische Figur, an der ich mir während des Lesens, buchstäblich die Zähne ausgebissen habe. Ihre Charaktereigenschaften sind sehr facettenreich, wirken zum größten Teil aber sehr konträr zueinander. Sprachlich täuscht sie über ihr eigentliches Alter hinweg und ihre manchmal etwas kindlichen Taten haben auf mich sehr unpassend und nicht stimmig gewirkt. Ohne jegliche Hintergrundinformationen macht sich dieses sprachlich hochbegabte und intelligente Mädchen auf den Weg, um ihren Vater zu suchen. Sie sucht jedoch nicht gezielt, sondern wahllos in der Masse von Menschen nach äußern Erkennungsmerkmalen. Jeder Mann, der braune Augen hat, wird näher von Tess begutachtet. Etwas befremdlich habe ich auch ihre inneren Dialoge mit ihrer Taschenlampe - die die Form eines Goldfisches hat-, empfunden. Sie schweigt, nimmt schweigend in Kauf, dass ihre Familie und Freunde dadurch verletzt werden, und plaudert derweil mit einem Goldfisch, der aus seinem Maul leuchtet.

Annabel Pitcher hat für ihr neues Buch bewegende und wichtige Themen gewählt, die viele Leser ansprechen werden: Erwachsenwerden, die Suche nach dem eigenen Ich und nach seinen Wurzeln, Freundschaft, Liebe und Mobbing. Vielleicht hat die Autorin sich bei dieser Vielzahl der Themen etwas übernommen. Ihren thematisch etwas sprunghaften Roman hätte ein klarerer definierter Schwerpunkt gut getan, denn die gut dargestellte, problematische Vater – Tochter – Beziehung, wird immer wieder von anderen weniger gewichtigeren Themen verdrängt.

„Schweigen ist Goldfisch“ von Annabel Pitcher ist ein Roman, den ich mit hohen Erwartungen begonnen habe und etwas enttäuscht wurde. Nachdem ich das Buch beendet hatte, ließ es mich Zwiegespalten zurück. Denn zum einen konnten mich die Grundidee und der Schreibstil der Autorin in vielen Kapiteln sehr begeistern. Jedoch wirkten viele Passagen zu konstruiert und die Taten der literarischen Hauptfigur Tess waren teilweise nicht nachzuvollziehen.