Rezension

Mehr als ein Krimi - ein Native American als Autor

Winter Counts -

Winter Counts
von David Heska Wanbli Weiden

Bewertet mit 4 Sternen

Virgil Wounded Horse aus dem Rosbud Reservat in South Dakota ist wie ein Vater für seinen verwaisten Neffen Nathan verantwortlich, übernimmt Gelegenheitsarbeiten und lässt sich als Auftragsrächer bezahlen, wenn mal wieder eine Straftat im Reservat ungesühnt durch die US-Justiz bleibt. Weil die Tribal Police in Kapitalverbrechen nicht ermitteln darf und zu viele Verfahren eingestellt werden, wenden sich Familien von Verbrechensopfern an Virgil. Übernimmt er einen Auftrag, tritt er bewaffnet mit Glock, Messer und Schlagring an. Seine Opfer werden die Begegnung nicht so schnell vergessen – und Virgil kann ihrer lebenslangen Rache sicher sein.

Als der 14jährige Nathan nach einer angeblich gratis erhaltenen Überdosis sehr reinen Heroins nur knapp dem Tod entkommt, sieht sich Virgil als Betroffener mit Alkohol- und Drogensucht im Reservat konfrontiert, sowie dem suchterzeugenden Missbrauch von Oxycodon. Durch seine kurze Beziehung zur gleichaltrigen Marie war Virgil bereits deren Vater Ben begegnet, der als Vorsitzender des Tribal Council kandidieren will und daher eigene Interessen in der Drogenproblematik vertritt. Trotz begründeter Zweifel an Bens Motiven nimmt Virgil die Verfolgung eines verdächtigen Dealers auf. Nachdem in Nathans Schulspind bei einer Durchsuchung weitere Drogen gefunden werden, droht ihm eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht in einer Haftanstalt für erwachsene Straftäter. Dieses Ausgangsszenario wirkt für europäische Leser befremdlich, weil die Herkunft der Ware lange nicht zugeordnet werden kann.

In Nebenhandlungen erfahren wir von Maries Plänen, Medizin zu studieren, ihrer offenbar sehr wohlhabenden indigenen Familie, die ihren Wohlstand zu vermehren weiß, und weiteren sozialen Problemen, mit denen Virgil und Marie im Reservat befasst sind. Virgil zeigt sich als leicht kränkbarer Charakter, der sich noch immer nicht mit Hänseleien in seiner Kindheit versöhnen kann und damit stellvertretend für viele andere steht, die sich zu Selbstjustiz gedrängt sehen. Zu Riten und Sitten seines Volkes hat Ben ein gespaltenes Verhältnis, da die Zeremonien seiner Ahnen sich gegenüber sozialen Problemen der Gegenwart bisher als wirkungslos erwiesen. Trotz seiner kritischen Haltung nimmt er in Visionen jedoch Kontakt zu seinen verstorbenen Angehörigen auf.

David Heska Wanbli Weidens Figuren zu mögen, fällt nicht leicht, weil Marie und Virgil bisher eher pubertär gehandelt haben, was ebenso wirkungslos blieb wie traditionelle Zeremonien. Nicht völlig klischeefrei (ohne ordnende weibliche Hand verlottert ein indigener Mann offenbar und ernährt sich ausschließlich von Junkfood) kommt es zu einer äußerst brutalen Auseinandersetzung zwischen Dealern, der Bundespolizei und weiteren Beteiligten.

Winter Counts sind traditionelle von Hand illustrierte Kalender der Lakota, wie sie Virgil und seine Schwester als Jugendliche gezeichnet haben und die die Weitergabe markanter Ereignisse über Generationen erleichtern.

Fazit
„Winter Counts“ ist eher ein beeindruckender wie ernüchternder Bericht über das Aufwachsen in David Heska Wanbli Weidens Heimat-Reservat als ein sozialkritischer Krimi. Hoch interessant finde ich die beiden Nachworte, die Fakten und Fiktion benennen und den Entstehungsprozess des Buches lebendig werden lassen. Wer sich mit den genannten sozialen Problemen und dem Oxycodon-Skandal bereits befasst hat, erfährt darüber kaum Neues. Durch die Aufmachung als Krimi lassen sich – so hoffe ich – weitere Lesergruppen für den Native American David Heska Wanbli Weiden ansprechen.