Rezension

Muttersein

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische -

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische
von Lorena Salazar

Bewertet mit 4 Sternen

Eine junge weiße Frau und ihr dunkelhäutiger Sohn steigen 2002 in ein Boot. Sie treten eine Reise auf dem Río Atrato in Kolumbien an. Beide bleiben namenlos. Die junge Mutter fungiert als Ich-Erzählerin. 

 

In einer sehr poetischen Sprache wird der Reiseverlauf geschildert, ebenso wie die Natur und der Fluss, der sein Gesicht fortwährend ändert. Die Reise beginnt eher träge und langsam, entsprechend dem Antlitz des Flusses. Etwas Tückisches scheint unter der Behäbigkeit zu lauern, man kann es nicht fassen, erahnt es aber.

Unterbrochen werden diese Betrachtungen durch Gespräche mit Mitreisenden und Kindheitserinnerungen der Frau. Als „einzige Weiße unter Schwarzen“ wurde die Erzählerin früher oft ausgegrenzt und wollte einfach nur dazugehören. 

 

Sie unternimmt die Reise, um „ihren Sohn“ zu seiner leiblichen Mutter zu bringen, diese übergab ihr das Baby, weil sie bereits drei Kinder hatte. Die junge Frau liebt den Jungen bedingungslos. Die geschilderten Episoden aus seiner Kindheit sind liebevoll und fürsorglich. Die unterschwellige Sorge, wie es nach dem Treffen weitergehen soll ist spürbar, dennoch will sie den Kontakt ermöglichen.

Es gelingt der Autorin eine Vielzahl von Gefühlen und Betrachtungen in die Naturbeschreibungen einzuflechten. Ein zentrales Thema ist das Muttersein, das facettenreich betrachtet wird: durch die Ich-Erzählerin, ihre Beziehung zur eigenen Mutter, die leibliche Mutter des Jungen und auch durch die jungen Mitreisende, die während einer Fehlgeburt unterwegs stirbt.

Die Reise endet mit einem unerwarteten Finale, in dem die Autorin ein historisches Ereignis mit einarbeitet: das Massaker von Bojayá. Der Roman nimmt damit eine unerwartet dramatische Wendung, die für die Menschen vor 20 Jahren dort eine grausame Realität war. 

 

Die Verbindung der historischen Momente mit poetischen Naturbetrachtungen, der Reise der jungen Frau zurück zu ihrer eigenen Kindheit und der mit ihrem Sohn sind wunderbar zu lesen. Etwas ungewöhnlich fand ich die vielen Hautbeschreibungen von weiß zu cremefarben, kaffeebraun etc.

Die Autorin beschreibt eine Gegend, die sie sehr gut kennt. Ihre Mutter stammt von dort und sie selbst hat einen Teil ihrer Kindheit dort verbracht. Mit ihrer bildhaften Sprache lässt sie die Orte für den Leser lebendig werden, ebenso wie die Gefühle der Protagonistin. 

Ein ungewöhnlicher Roman, der mich beeindruckt hat und noch nachhallt.