Rezension

Nehmt die Herausforderung an!

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche - Reni Eddo-Lodge

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
von Reni Eddo-Lodge

Bewertet mit 4 Sternen

Über strukturellen Rassismus und weiße Privilegien - informativ, herausfordernd, gut!

Schon durch den Titel wird man von diesem Buch herausgefordert - keine Gespräche über Hautfarbe mehr mit Weissen? Nicht wenige werden sich durch diese Aussage provoziert fühlen und doch steckt für mich dahinter die Erfahrung, die dieses kleine Buch, das so vollgepackt mit Wissen und Fakten ist, über all seine Kapitel hinweg zusammenhält. Die Erfahrung nämlich, die Reni Eddo-Lodge bereits im Vorwort darlegt: dass Weisse viel zu oft den struktuellen Rassismus gegenüber People of Colour nicht anerkennen. Dass sie, sobald es um Ausgrenzung aufgrund von Hautfarbe (übersetzt aus dem Englischen "race") geht, mit emotionaler Distanz, Abwehr oder Trivialisierung reagieren und ihnen die eigenen Privilegien in diesem Zusammenhang überhaupt nicht bewusst erscheinen. Und hier wird es persönlich, hier ist jeder herausgefordert, sich selbst und seine Haltung zu hinterfragen, wenn man sich denn darauf einlässt.

 

Reni Eddi-Lodge stammt aus London und beschreibt zum Einstieg die Geschichte Schwarzer in Großbritannien, vom kolonialistischen Sklavenhandel bis zur leider immer noch aktuellen rassistischen Schikane durch Polizei, Gerichte, Vermieter, und so weiter. Wem dieser geschichtliche Einstieg noch zu trocken erscheint - unbedingt weiterlesen! Denn hier sind wir schon beim institutionalisierten und strukturellen Rassismus, der nicht so leicht zu erkennen ist wie körperliche Angriffe und Beleidigungen durch Extremisten, sondern vielmehr die Voreingenommenheit von Menschen meint, die sich zu Organisationen zusammenschließen und entsprechend ihrer Vorurteile handeln. Durch strukturellen Rassismus werden People of Colour systematisch diskriminiert und ihre Chancen geschmälert, sei es durch eine weiße Arbeitsplatzkultur, schlechtere Noten, mehr Polizeikontrollen oder die Abweisung bei der Bewerbung um Jobs oder an Universitäten. Eine "Farbenblindheit" nach dem Motto "wir sehen keine Unterschiede mehr" sieht Reni Eddo-Lodge aber nicht als hilfreich an, um rassistische Strukturen zu dekonstruieren, man muss sehen können, wer von seiner Hautfarbe profitiert und wer benachteiligt wird, Illusionen helfen hier nicht.

 

Und gerade darum geht es auch beim "White Privilege", das hier beschrieben wird als "die Tatsache, dass deine Hautfarbe, wenn du weiß bist, den Verlauf deines Lebens mit großer Sicherheit positiv beeinflussen wird" (S. 98) - und man es sehr wahrscheinlich nicht einmal merkt. White Privilege ist die Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus, vielmehr werden die Privilegien der Weißen durch den Rassismus gestärkt und vermehrt und das ist erst einmal eine sehr erschreckende Einsicht. Warum, fragt Eddo-Lodge, denken so viele Weisse trotzdem, dass Rassismus nicht ihr Problem ist, dass sie sich nicht ändern müssen?

 

Obwohl das Buch nicht sehr dick ist, werden von der Autorin viele verschiedene Thematiken beleuchtet und in die Diskussion miteinbezogen. Antirassismus wird in Zusammenhang mit Feminismus gestellt, welcher das Weißsein aus ihrer Sicht noch zu oft mit Samthandschuhen anfasst - hier fordert sie Intersektionalität und schwarzen Feminismus. Auch auf den Bezug zur sozialen Klasse geht sie ein, auf den Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Armut, die sie der populistischen Erzählung der Benachteiligung der "weißen Arbeiterklasse" gegenüberstellt, der weißen Angst vor einer drastischen Umverteilung der Macht, die selbst einen schwarzen Stormtrooper kaum zulässt. Dass Repräsentation und Bewusstseinsbildung notwendig sind - keine Frage - was mir allerdings im Nachgang noch ein bisschen Kopfzerbrechen gemacht hat, war zum einen die Frage danach, wie andere Formen der Benachteiligung (z.B. aufgrund von Behinderung, sexueller Orientierung, ...) und der Kampf gegen diese bzw. gegen Diskriminierung im Allgemeinen von ihr eingeordnet werden. Und zum anderen hatte ich beim Lesen an der ein oder anderen Stelle das Gefühl, dass Weissen ein Stück weit die Möglichkeit der Solidarität im Kampf gegen Rassismus in Frage gestellt wird, danach würde ich sie gerne einmal fragen können.

 

Man muss allerdings auch nicht in jedem Punkt die Meinung von Reni Eddo-Lodge teilen, um den großen Wert dieses Buches anerkennen zu können. Es legt eine Wissensbasis, sensibilisiert für die Wahrnehmung von strukturellem Rassismus und stärkt die Auseinandersetzung mit den eigenen Reaktionen, das Hinterfragen von Abwehr-Impulsen. Also - nehmt die Herausforderung an!