Rezension

Neuinterpretation eines Klassikers, der veraltete Geschlechterrollen übergeht

Die Insel des Dr. Moreau - Ted Adams, Gabriel Rodríguez

Die Insel des Dr. Moreau
von Ted Adams Gabriel Rodriguez

Bewertet mit 3.5 Sternen

Alles in allem, sehe ich den Comic als hervorragende Ergänzung zum Original und habe mich gut unterhalten gefühlt; bekomme ich doch visuell so einiges geboten. Wer die beiden Medien getrennt voneinander betrachten kann (oder das Original nicht kennt), wird sich an den genannten Änderungen sicherlich nicht stören.   

„Man spricht bei Klassikern gerne von zeitlosen Werken, dabei scheint Wells‘ kritischer Roman von heute sogar relevanter als bei Erscheinen: Das Buch wurde letztlich mit jedem wissenschaftlichen Durchbruch immer aktueller, was faszinierend und alarmierend zugleich ist. Denn aufgrund unserer Errungenschaften haben wir mehr Verantwortung als jemals zuvor, sind unsere Selbstüberschätzung und unser Hochmut – unsere Hybris – größer denn je. Wenn die Erschaffung oder die Gestalt von Leben bloß noch Gesetzen der Gentechnik obliegt, braucht es Prinzipien und Grenzen. Und was könnte dies eindrucksvoller veranschaulichen als Wells‘ Klassiker?“

Mit diesen einleitenden Worten von Christian Endres (betreut seit über zehn Jahren als Redakteur für Panini die deutschsprachigen Abenteuer von Spider-Man, Batman, Wonder Women, Harley Quinn u.v.m.) beginnt für mich erneut eine Reise zur Insel des Dr. Moreau. Diesmal widme ich mich der Comicadaption von Ted Adams und Gabriel Rodriguez, die ein paar Änderungen am Original vorgenommen haben, auf die ich bei meiner Rezension eingehen werde ohne zu Spoilern. 

Während bei der Originalgeschichte der schiffbrüchige Edward Prendick nach mehreren, allein verbrachten Tagen auf dem offenen Meer halbtot von einem Schoner aufgegriffen und dort von Montgomery, einem Passagier der sich auch auf die medizinische Versorgung zu verstehen glaubt, aufgepäppelt wird, konzentriert sich der Comic gleich auf die Gegebenheiten der Insel. Hier wird Ellie Prendick nach dem Schiffsunglück in ihrem Rettungsboot auf die Insel gespült.

Diese Änderung finde ich persönlich sehr schade, weil gerade der Anfang der Originalgeschichte mir sehr gut gefällt. Hier wird schon auf den ersten Seiten eine beunruhigende Stimmung aufbaut, deren ständiger Begleiter ein Schauer der feinsten Art ist. Man merkt, das mit dem Begleiter Montgomerys und Montgomery selbst, etwas nicht stimmt und das Gefühl verdichtet sich noch mehr, sobald man mit Ihnen auf der Insel ankommt.

Dagegen habe ich mich über andere Umgestaltungen der Originalgeschichte, wie zum Beispiel das aus der Hauptfigur Edward Prendick Ellie Prendick wird, sehr gefreut. 

Man muss bedenken: Das Original wurde 1896 veröffentlicht. Damals hatten Frauen noch einen anderen Stellenwert und kommen kaum bis selten (gar nicht?) in Abenteuergeschichten vor – schon gar nicht als Hauptfigur. 

Das Ted Adams und Gabriel Rodriguez das in ihrer Adaption ändern, zeigt für mich den modernen Zeitgeist, der veraltete Geschlechterrollen übergeht und zeitgleich junge Leser*innen bestärkt. So tut es auch gut, dass Ellie die Ereignisse auf der Insel deutlich taffer angeht als der dünnhäutige Edward es getan hat. Die Anpassung des Geschlechts der Hauptfigur macht das, wieder vom Original abweichende Ende, zwar kitschiger, aber bis auf diesen Eindruck, finde ich auch dieses Ende gut gewählt. 

Zeiten ändern sich – und so bevorzuge und befürworte ich es auch, wenn diskriminierende oder rassistische Bezeichnungen in Neuübersetzungen nicht mitübernommen werden. Im Original wird die Bezeichnung „Kanaken“ verwendet – im Comic spricht man von Menschen. An diese Herangehensweise dürften sich viel mehr Neuübersetzungen von Klassikern wagen!

Nachdem ich mich nun ausführlich über die Unterschiede zwischen dem Original und dem Comic ausgelassen habe, kommen wir zu etwas, was uns nur der Comic bieten kann. Und zwar die überaus gelungenen Zeichnungen von Gabriel Rodriguez. Seinen Zeichenstil kenne ich schon aus der lesenswerten Comicreihe „Locke & Key“ von Joe Hill, dem Sohn von Stephen King. Wer Rodriguez Zeichnungen mag, kommt in „Die Insel des Dr. Moreau“ gleich doppelt auf seine Kosten, da der Comic ebenfalls die blauen Bleistiftzeichnungen von Rodriguez enthält. Von denen bin ich nach wie vor stark beeindruckt und schaue Sie mir richtig gerne an. Sie heben Rodriguez besonderes Talent nochmal hervor.

Die Inselbewohner wurden realistisch in Bild gesetzt und ähneln auch meinen im Kopf entstandenen Vorstellungen. In gewohnter Comicmanier werden besonders brutale Abschnitte ausschließlich in rot gehalten. Und die haben es wirklich in sich!

Alles in allem, sehe ich den Comic als hervorragende Ergänzung zum Original und habe mich gut unterhalten gefühlt; bekomme ich doch visuell so einiges geboten. Wer die beiden Medien getrennt voneinander betrachten kann (oder das Original nicht kennt), wird sich an den genannten Änderungen sicherlich nicht stören.