Rezension

Romantisch, bibliophil, Paris = Liebe

Eines Morgens in Paris - Charles Scott Richardson

Eines Morgens in Paris
von Charles Scott Richardson

Alles beginnt mit einem verheerenden Brand, einem Brand in der BOULA  GERIE NOTRE DAME in Paris (War es nicht Napoleon persönlich, der das “N” aus dem Namen entwendete?). Besitzer ist Oktavio, nach seinem Vater Émile nun der dünnste Bäcker von ganz Paris. Doch wo ist er an diesem furchtbaren Tag?

Geht spazieren, könnte ich mir denken. Ist schließlich Sonntag. Ein Glückstag also, und umso besser, dass unser Mann nicht hier ist. Stellen Sie sich vor, mit ansehen zu müssen, wie Ihr Leben in Rauch aufgeht. Ein noch größeres Glück, dass er nicht ebenfalls verkohlt ist. Und was bleibt von diesem ganzen Glück, frage ich Sie, wenn er heimkommt und vor dem Nichts steht? Nachdem er so viel gesammelt hat, all diese Bücher? Das wird dem Mann das Herz brechen. Wahrhaft grausam. (S. 10)

Durch einige Zufälle lernt er die junge Restauratorin Isabeau kennen – die Liebe seines Lebens. Doch bis die beiden zueinander finden sollen, gehen etliche Jahre ins Land und ein grünes Buch und viele besondere Persönlichkeiten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Kommt mit und begleitet Octavio durch sein Leben bis hin zum Tag des verheerenden Brandes, der seinem Leben einen entscheidenden Stups geben soll…

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 Eines Morgens in Paris schreibt eine ganz besondere Liebesgeschichte. Nämlich die zwischen Ovtavio und der jungen Isabeau. Beide sind mit einem schweren Schicksal geschlagen: Octavio verlor sehr jung seine Mutter und konnte nie richtig lesen und schreiben. Doch eins konnte er: Geschichten erzählen, wundervolle Geschichten – eine Fähigkeit, die er von seinem Vater, der mit dem selben Schicksal zu hadern hatte, übernommen hatte. Isabeau hingegen ist die Tochter eines Modeschöpfers und einer sehr auf Äußerlichkeiten bedachten Mutter. Als junges Mädchen verbrühte sich Isabeau das Gesicht und ist seither von einer unschönen Narbe gezeichnet. Für ihre Mutter ein Unding, da niemand mehr nun die eigene Schönheit, sondern nur die Unzulänglichkeiten der Tochter wahrnehmen würde. Also versteckte man das Mädchen zuhause, bis ihr Vater eines Tages durchsetzte, dass sie in den Louvre gehen. Denn eins liebte Isabeau: Kunst, Bilder und Bücher. Später erlernte sie den Beruf der Restauratorin im Louvre, wo sie auf Octavio treffen sollte, der dort jeden Sonntag mit seinem aus dem Krieg heimgekehrten Vater durch die Galerien flanierte und Geschichten zu den Bildern erfand. Ihn anzusprechen traute sie sich jedoch nicht. So sollte sie ihn also einige Jahre aus der Ferne anhimmeln, bevor ein besonderes Buch sie langsam verbinden sollte.

Monsieurs von Druckerschwärze fleckige Finger beschmutzen das glänzende Papier, als er das Geschenk zupackte: ein Buch, in grünes Leinen gebunden, die Vorsatzblätter ein Blumengarten von Violett- und Gelbtönen. Das Ende eines rotseidenen Lesebändchens lugte aus dem Fußschnitt hervor. Nachdem er sich die Hände an der Hose abgewischt hatte, blätterte Monsieur die Seiten durch, stoppte hier und da bei einer Illustration. (S. 60)

Doch das ist nicht die einzige Geschichte, die im Buch erzählt wird: Vielmehr erfahren wir, wie sich schon die Eltern der beiden jungen Menschen Anfang des 19. Jahrhunderts kennen und lieben lernten und ihre Existenzen aufzubauen begannen. Geschichten, die nur in Paris spielen können. Wir sehen unsere Protagonisten aufwachsen, in einer Stadt, die so facettenreich und vielseitig wie ein Kaleidoskop ist. Egal wo man auch hin schaut, man entdeckt immer neue Persönlichkeiten und Details, die eine eigene Geschichte erzählen. Wie zum Beispiel den jungen aufstrebenden und doch erfolglosen Künstler Jacob Kalb und den Buchhändlerenkel Henri, der einen besonders schönen grün angestrichenen Kiosk leitet und eine ganz besondere Bindung zu seinen Büchern hat. Ich will an dieser Stelle gar nicht mehr über die einzelnen liebevoll gezeichneten Charaktere schreiben, denn man muss sie einfach selbst kennen lernen.

Abends, wenn die Sonne hinter den Gebäuden am Fluss versank, sah Jacob immer dabei zu, wie der junge Buchhändler einen großen Band aus dem Stand nahm. Der Junge spähte die Uferpromenade hinauf und hinab, vergewisserte sich, dass niemand näher kam, und legte das Buch auf den Boden. Dann schob er sich die Brille auf den Kopf, stellte sich mit beiden Füßen auf die Seiten des aufgeklappten Buches, hob die Arme seitlich empor und wandte das Gesicht zum Himmel. (S. 81)

In diesem Zusammenhang sind wir auch schon beim Schreibstil angekommen. Es wird vom Leser viel Aufmerksamkeit verlangt. Richardson springt vom Heute in die Vergangenheit, von Person zu Person. Schnelle Wechsel folgen aufeinander und zu Beginn muss man ganz schön Aufmerksam sein, um den Faden nicht zu verlieren. Ist man aber erstmal richtig drin – was nicht lang dauert – macht dies keinerlei Probleme mehr und man erliegt dem Charme des Romans.

Wie der Scherenschnitt auf dem wundervollen Cover fügen sich die Details nacheinander zusammen. Natürlich ist es jetzt keine mega große Story, die der Roman aufweist, aber die braucht er auch nicht, um zu überzeugen. Es sind die kleinen Dinge, die aus diesem Roman ein kleines Wunder machen. Wie schon erwähnt: Dieser Roman ist ein Kaleidoskop aus Liebe, Schicksal, liebevollst gezeichneten Details und Bildern. Kopfkino ist von der ersten bis zur letzten Seite vorprogrammiert. Mich erinnerte er sowohl an Die Fabelhafte Welt der Amélie als auch an Midnight in Paris von Woody Allen. Durch und durch französisch präsentiert Richardson eine Hommage an Paris, an die Menschen, die Bücher und an die wahre Liebe.