Rezension

Russische Geschichte in Plakaten und Fotos

Roter Stern über Russland - David King

Roter Stern über Russland
von David King

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Autor und zur Entstehung des Buches:
Der Autor David King, Leiter des Kunstressorts der Sunday Times (1965 bis 1975), besitzt eine der bedeutendsten Sammlungen russischer revolutionärer Kunst. Fotos, Plakate u. a. Druckerzeugnisse wurden in den 30ern zu Propagandazwecken in hohen Auflagen, auch im Westen, verbreitet. Die Geschichte der Entstehung dieser visuelle Geschichte der Sowjetunion von 1917 bis Stalins Tod 1953 könnte ein weiteres Buch füllen. King, bei uns bekannt durch das Buch Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion, stellte 1970 bei einer Reportage über Lenin fest, dass kaum historische Zeugnisse über Trotzki zugänglich waren; denn Trotzki wurde als unwichtig für die Revolution betrachtet. Kings Beilage zur Sunday Times über Trotzki fällt 1971 einem Streik bei der Zeitung zum Opfer. David Kings jahrzehntelange unermüdliche Suche in Antiquariaten mehrerer Länder endet schließlich mit einem Bestand von 250 000 Objekten. Kings Sammelwut ermöglicht 1972 die Herausgabe von Trotsky: A Documentary, 1976 folgen How the GPU Murdered Trotsky, 1997 The Commissar Vanishes, 2003 Ordinary Citizens, einer Sammlung von Polizeifotos der Stalinzeit aus den Archiven des KGB, sowie mehrerer Ausstellungskataloge. (Alexander Rodchenko, Blood & Laughter: Caricatures from the 1905 Revolution). Kings Großvater hatte als Ingenieur zur Zarenzeit Eisenbahnen in Russland gebaut. Der Enkel fährt bei seinen Recherchen in Russland komfortabel auf den Schienen seines Großvaters und ist ihm heute dankbar für seine Arbeit.

Zum Inhalt:
Kings kurze Erläuterungen zu seiner Sammlung von Plakaten, Buchcovern und Schwarzweiss-Fotos lesen sich wie ein Auszug einer Geschichte der bildenden Künste und des Journalismus. Der amerikanische Journalist John Reed wird genannt, wie auch Clare Sheridan, die Büsten von Lenin und Trotzki anfertigte, und Max Alpert, Korrespondent der Nachrichtenagentur TASS. Die abgebildeten Plakate haben sichtbar gelitten, sie wurden gefaltet, das Papier ist inzwischen vergilbt und brüchig. Jeder Knick ist in der Reproduktion zu erkennen. Beeindruckend fand ich, dass Filmplakate aus Kings Sammlung in der Gegenwart der Designerin Judy Groves als Anregung für die Gestaltung von Plakaten für Südafrikas Anti-Apartheid-Bewegung dienten. Satirische Plakate sind im Buch enthalten, Aufrufe in Arabisch, Tartarisch, Turkmenisch und Usbekisch.

Titel der satirischen Zeitschrift Besboschnik u Stanka, Ogonjok und der populären Krasnaja Niwa fallen, für deren Titelbilder eigens Gemälde in Auftrag gegeben wurden. Auch die satirische Zeitschrift Krokodil findet ihren Platz. Kunst in der Produktion zeigen die Arbeiten des Textildesigners Prachow. Schon in den 30ern wird in der Plakatkunst das große Interesse Russlands am Fliegen und am Pilotenberuf deutlich.

Ein bekannter russischer Fotograf war z. B. Nappelbaum, dessen Portrait Pasternaks 1958 von Hand aus einer bereits gedruckten Auflage von 20 000 Bildbänden wieder entfernt werden musste, nachdem Pasternak in Ungnade gefallen war. Schärfe und Feinkörnigkeit der meisten historischen Schwarzweiss-Fotos sind beeindruckend. Damals war eine Quelle für Unschärfe, wenn portraitierte Personen sich während der Aufnahme bewegten, im Labor wurde dagegen mit Fotopapieren bester Qualität für die Ewigkeit gearbeitet.

Fotos aus dem Großen Vaterländischen Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, zeigen bewegend die Leiden der Zivilbevölkerung und Racheaktionen der Deutschen Wehrmacht gegen Partisanen. Einen eindrucksvollen Abschluss bildet das Gemälde des Marschalls Schukow von 1946 in heldenhafter Pose zu Pferd vor der Kulisse des brennenden Berlin und des zerstörten Brandenburger Tors.

Kings visuelle Geschichte der Sowjetunion zeichnet sich durch erstklassige Reproduktionen der Plakate und Fotos und sachkundige Begleittexte aus.