Rezension

schwierig, schwierig - Mittelmaß

Schoßgebete - Charlotte Roche

Schoßgebete
von Charlotte Roche

Bewertet mit 3 Sternen

Haben Sie schon das Werbevideo von Frau Roche gesehen? Darin verspricht sie: "Und wer dachte Feuchtgebiete ist krass, der muss sich hierbei richtig anschnallen..." - Das ist nicht wahr. "Feuchtgebiete" war um einiges "krasser" als "Schoßgebete", aber gerade das macht "Schoßgebete" für mich auch besser. Denn es ist nicht nur eine Aneinanderreihung ekelhaftester Fäkalsprache, um irgendeine triviale, im Hintergrund herumdümpelnde Story durch Skandal-Presse verkaufbar zu machen...

Zum Inhalt: Elizabeth Kiehl - 33, Mutter in einer Patchworkfamilie, seit Jahren in Therapie - leidet unter vielen Ängsten, ist überzeugte Vegetarierin und manchmal überforderte Mutter, macht sich Vorwürfe wegen der Trennung vom Vater ihrer Tochter und ihrer Mutter wegen allem und möchte ihren Ehemann für immer rundum zufriedenstellen. Dafür geht sie weiter, als die meisten sich auch nur vorstellen könnten, zum Beispiel mit Mann in den Puff...

Das zweite Werk von Charlotte Roche kommt zu weiten Teilen sehr autobiographisch daher: Ihr Alter, ihre Patchworkfamilie, ihre englische Abstammung, ihr Vegetarismus im Zusammenhang mit Jonathan Safran Foers Buch "Tiere Essen" und nicht zuletzt die gesamte Geschichte um den Unfalltod ihrer drei Brüder auf dem Weg zu ihrer Hochzeit in London samt Hass auf die BILD-Zeitung (im Buch "Druck"-Zeitung genannt) - das alles (und vielleicht noch mehr) haben die Ich-Erzählerin des Buches und Charlotte Roche gemeinsam.

Und das war für mich auch der gute Teil des Buches. Die gewisse Tiefgründigkeit durch das Reale in der Geschichte. Die Rückblenden zur schockierenden Autounfall, bei dem die drei jüngeren Brüder starben. Die Hochzeit, die danach ausfiel, die Fast-Ehe zum Vater ihrer Tochter, die aufgrund der Schicksalsschläge auseinander driftet. All das hat in jedem Satz deutlich mehr Tiefe, als es Roches Erstlingswerk insgesamt auch nur annähert hatte.

Auch ist "Schoßgebete" insgesamt viel weniger abgedreht als "Feuchtgebiete" und vor Allem weniger "krass". Der komplette Ekelfaktor durch den Anti-Hygiene-Wahn im ersten Teil fällt praktisch weg. Wie um dem gewöhnten Leser trotzdem ein bisschen Provokation liefern zu wollen, werden die Sexpraktiken im kleinsten handwerklichen Detail ausgewalzt und auch ein "Urintropfen" oder ein paar Würmer müssen mal zum Ansatz eines Ekels herhalten. Und auch wenn Charlotte Roche ihren Roman gleich mit einer mehrere Seiten umfassenden Sex-Szene einleitet, damit kein "Feuchtgebiete"-Fan sofort von Gemüseschnibbeln oder Gefühlen abgeschreckt wird, haben mich diese Sexszenen nicht im Geringsten provoziert oder geekelt. Zum Einen mag das daran liegen, dass ein zweiter Aufguss einer Provokation nun einmal nicht mehr funktioniert. Provozieren kann man nur mit etwas Neuem - und "Feuchtgebiete" hat dieses Neue schon genommen. Zum Anderen sind die kleinen Sexspielchen einfach zu banal. Soll das im Internetzeitalter noch jemanden unterhalb der 50 entsetzen?

Gott sei dank hat die Autorin sich aber weiterentwickelt. Der drei Tage umfassende Plot aus Elizabeth's Leben bietet genug Handlung, um auch ohne Provokation lesbar zu sein und verdient durch seine Persönlichkeit auch ohne den ganzen Sex schon Aufmerksamkeit.

Jetzt zu den Punkten, die mir nicht gefallen haben.

Erstens war mir die Protagonistin ein wenig unsympathisch. Ihr Wunsch ihren Mann mit allen Mittel an sich binden zu müssen, auch wenn es bedeutet sich selbst sehr weit zurückzustellen, fand ich für die ansonsten so moderne Frau befremdlich, ist aber wenigstens zum Teil durch die Scheidungsgeschichte der Eltern aus Protagonistinnen-Sicht erklärbar. Auch die ganzen kleineren Gedankenmonologe und Schimpftiraden über dies und jenes (Lebensmittel, alles, was nicht vegetarisch ist, Kirche, Erziehung...) fand ich manchmal eher anstrengend und sie hatten einen etwas zu ausgeprägten selbstgefälligen und egozentrischen Unterton, insbesondere die "Meine-Mutter-ist-an-allem-Schuld"-Passagen. An dieser Stelle ist mir besonders ein Beispiel sehr sauer aufgestoßen. Relativ zu Beginn des Romans - nachdem der Leser mit banalstem Gemüseschneiden wieder vom Sextrip runtergeholt wurde - kommt Elizabeth Tochter Liza nach Hause. Elizabeth reflektiert darüber, wie stolz sie sei, ihr Kind bis zum 8. Lebensjahr am Leben gehalten zu haben. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die gescheitert sei, da von ihren fünf Kindern drei tot sind. An dieser Stelle musste ich beim Lesen innehalten, da ich es gerade aufgrund des wahren Hintergrunds sehr überflüssig und pietätslos fand.

Auch die Sexbeschreibungen hätte das Buch nicht nötig gehabt, ebensowenig den Wurmbefall, aber zumindest bekommen sie durch die Psyche der Protagonistin eine Legitimierung, die gleich zu Beginn feststellt, dass sie sich nur beim Sex völlig frei fühlt. Aber auch hier gingen mir die Übertreibungen etwas auf den Geist. Die Protagonistin hat nämlich nicht nur Sex, nein, sie ist "Die Geilheit auf zwei Beinen". Na dann...

Insgesamt hätte ich es besser gefunden, wenn die Autorin sich - auf den eigentlich für die vielen abgearbeiteten Themen doch sehr mageren 280 Seiten - ein bisschen mehr aufs Wesentliche konzentriert hätte und nicht zu sehr versucht hätte, an ihr "Feuchtgebiete"-Niveau anzuknüpfen. Mir ging durch den flapsigen Schreibstil und die vielen Oberflächlichkeiten so ziemlich jede Emotionalität flöten, die bei einer solchen Lebensgeschichte doch irgendwie dazu gehört hätte.
Der Schreibstil ist leider, wie beim Roman-Debüt, immernoch sehr platt. Alles im allem ließ er mir die ganze Geschichte und eigentlich alles im Leben der Protagonistin sehr banal erscheinen. Ich erinnere mich, wie ich schon auf den ersten Seiten darüber nachdachte, wie oft man in aufeinanderfolgenden kurzen Sätzen immer wieder die Worte "Eichel" oder "Vorhaut" benutzen kann, ohne dass der Stil holprig wird. Mein Ergebnis: Nicht soooo oft. In dem Punkt gebe ich meinen Lehrern Recht, die mir in der Schule beibrachten, dass zu häufige Wortwiederholungen Ausdruck eines schlechten Stils sind.

Mein abschließendes Urteil der doch recht lang gewordenen Rezension: Ich schwanke, was den Roman angeht. Die autobiographischen Züge gefallen mir und zeigen Tiefgründigkeit, sodass der Roman mehr ist, als nur oberflächliches Rumgevögel, das man nach den ersten 15 Seiten erwarten könnte. Der Schreibstil ist eigen, aber nicht gerade gut. Das Buch ist recht mager im Umfang, ein bisschen "mehr" an der ein oder anderen Stelle hätte vielleicht geholfen, etwas Emotionalität oder Mitgefühl zur Protagionistin aufzubauen. So fand ich sie einfach eher unsympathisch. Trotzdem ist es besser als "Feuchtgebiete". Also gebe ich 3 Sterne und sage: Mittelmaß! Kann man lesen, muss man nicht.