Rezension

Sehr wichtiges Thema

Wir müssen über Kevin reden - Lionel Shriver

Wir müssen über Kevin reden
von Lionel Shriver

Bewertet mit 5 Sternen

Titel: Wir müssen über Kevin reden
Autor: Lionel Shriver
Verlag: Piper
Genre: Roman
Seitenanzahl: 561
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch: Christine Frick-Gerke und Gesine Strempel
Preis Taschenbuch: € 11,00 [D], € 11,40 [A]
ISBN: 978-3-492-31051-2

Ich danke dem Piper Verlag für das Rezensionsexemplar

Klappentext

Kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag richtet Kevin in der Schule ein Blutbad an. Innerhalb weniger Stunden ist das Leben seiner Familie nicht mehr, wie es war. – Lionel Shriver erzählt aus der Sicht einer Mutter, die sich auf schmerzhafte und ehrliche Weise mit Schuld und Verantwortung, mit Liebe und Verlust auseinandersetzt. Hätte sie ihr Kind mehr lieben sollen? Hätte sie das Unglück verhindern können?

Meine Meinung

Dieses Buch werde ich so schnell nicht mehr vergessen. Ich muss zugeben, dass mich die Geschichte sehr mitgenommen hat. Zunächst kam ich schwer ins Buch, was auch daran liegt, dass ich etwas ganz anderes erwartet hätte. Kevin ist an seiner Schule Amok gelaufen. Eva erzählt in Briefen an ihren Mann die Geschichte ihres Sohnes Kevin. lässt die Vergangenheit Revue passieren. Die Briefe drehen sich nicht nur um den Amoklauf. Eva erzählt die Geschichte von ganz am Anfang. Der Amoklauf an sich nimmt eher einen kleinen Part ein. Es geht um das Davor und das Danach. Eva wechselt oft zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Der Leser lernt die Charaktere und besonders die Familienstruktur sehr gut kennen.
Eva hatte ein glückliches Leben und war eine Abenteurerin. Dann wurde sie schwanger. Sie war sich plötzlich gar nicht sicher, ob sie überhaupt ein Kind haben wollte. Dann war Kevin auf der Welt und das Verhältnis zu ihrem Sohn war gar nicht gut. Schon als Baby hat Eva das Gefühl, dass er anders ist. Böse. Dass er sie nicht leiden kann. Das ist die Wahrnehmung der Mutter. Doch Franklin, der Vater, sieht das ganz anders. Kevin ist freundlich zu ihm, spielt mit ihm. Er ist der Meinung, dass Kevin nichts Böses tun würde. Er sei doch nur ein Kind.  Franklin hat nach Eva Kevins Taten aus Kindertagen schön geredet und ignoriert.

Kevins Geschichte hat mich oft den Atem anhalten lassen. Es ist einfach unfassbar. Er nimmt definitiv soziopathische Züge an und das schon als Kind. Eva ist völlig überfordert mit ihm. Von Anfang an macht er ihr das Leben schwer. Und das mit Absicht.

Das Buch geht eindrucksvoll der Frage nach, wieso Kinder einen Amoklauf begehen. Was sind die Gründe für so eine Tat? Wer trägt die Schuld?
Natürlich fragen die meisten sofort nach den Eltern und wie die Erziehung ablief. Auch Eva möchte wissen, ob sie eine Schuld daran trägt.

„Es ist immer die Schuld der Mutter, nicht?“, sagte sie sanft und nahm ihren Mantel. „Ein Junge baut Scheiß, weil seine Mutter trinkt oder Drogen nimmt. […] Niemand sagt je, weil sein Vater ein Trinker ist […]. Und niemand sagt jemals, dass manche Kinder einfach echt böse sind.“ S. 236

Liegt es wirklich immer nur an der Erziehung, an dem Verhalten der Eltern und des Umfelds?
Das Buch setzt sich auch mit anderen Argumenten auseinander. Wie den Medien. Ein Amoklauf geschieht und im Fernsehen wird über nichts anderes berichtet. Es ist wichtig, es zu erwähnen, ja, aber muss man es so drastisch machen? Kinder sehen so etwas und natürlich können sie davon getriggert werden. Aber die Gesellschaft giert danach. Sie möchte mehr davon. Und das weiß Kevin.

„Glauben Sie nicht, die hätten inzwischen längst den Kanal gewechselt, wenn ich nicht mehr gebracht hätte als eine Eins in Geometrie?“ S. 497

In Filmen werden Leute ermordet, gefoltert und so weiter. Und wir Menschen schauen das, was ja vollkommen okay ist. Ich liebe es, Thriller zu lesen und werde dadurch natürlich nicht selbst zum Mörder. Aber bei echten Morden wird tagelang darüber berichtet und der Mörder fühlt sich wie ein Held, da die Menschen ihn begaffen, ihn interviewen wollen. Er wird dargestellt wie ein Star.

Dieser Roman hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht. Er erklärt nicht, warum jemand zum Amokläufer wird. Es dreht sich alles eher um die Konsequenzen und die Schuldfrage. Gibt es auch wirklich nur einen Grund? Oder spielen nicht mehrere zusammen? Eva versucht zu verstehen, wie es bei ihrem Sohn dazu kam. Nun muss sie mit den Konsequenzen leben, sie muss mit der Tat leben. Sie wird eine Außenseiterin. Nicht nur die Eltern der getöteten Kinder leiden, sondern je des Amokläufers auch. Eva versucht zu verstehen, wieso gerade ihr Sohn so ein Mörder wird. Doch die Antwort findet sich nicht so leicht.

Der Schreibstil hat mich sehr mitgenommen und gefesselt. Er ist sehr detailliert, manchmal aber auch sehr ausschweifend. Oftmals habe ich vergessen, dass es nur eine fiktive Geschichte ist, da sie mir so wirklich vorkam.

Fazit

Wir müssen über Kevin reden hat mich sehr beeindruckt. Es handelt sich natürlich um ein sehr schwieriges und schreckliches Thema, aber dieses sollte keinesfalls totgeschwiegen werden. Dieses Buch kann man nicht einfach zwischendurch lesen. Es ist keine einfache Lektüre, es ist bedrückend und schonungslos. Aber doch so wichtig.

https://sternenbrise.wordpress.com/2017/06/13/rezension-wir-muessen-uebe...