Rezension

Simple Form für intellektuell gewichtigen Inhalt

Stella Maris -

Stella Maris
von Cormac Mccarthy

Der vorliegende zweite Teil des Doppelromans „Der Passagier“ und „Stella Maris“ von Cormac McCarthy besteht ausschließlich aus einem Dialog zwischen der Protagonistin Alicia Western, Schwester von Robert „Bobby“ Western, welcher in „Der Passagier“ im Mittelpunkt steht, und ihrem Psychiater in der Nervenheilanstalt Stella Maris. Der Aufenthalt spielt sich in 1972 und damit acht Jahre vor der Handlung von „Der Passagier“ ab. Dies ist wichtig zu beachten, denn so gehören die beiden Romane inhaltlich eng zusammen. Warum der Autor mit seinem Verlag die Entscheidung getroffen hat, nun aber die Therapiegespräche von Alicia in ein gesondertes Buch zu packen, ist mir unverständlich. Denn ganz für sich alleinstehend hat dieser Roman mir persönlich leider nicht viel zu bieten.

Alicia springt im Schriftbild mitunter unübersichtlichen Dialog mal von allein mal von ihrem Psychiater angeregt von einem Thema zum nächsten. Sie hat sich selbst eingewiesen, äußert immer wieder latente bis akute Suizidgedanken, wird aber weder medikamentös noch anderweitig behandelt. „Noch anderweitig“ steht hier für mich auch dafür, dass die Therapiegespräche in wirklich keinster Weise Therapiegespräche sind. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt, inzestuöse Liebe, Mathematik, Philosophie, Physik und den Sinn des Lebens - ach ja und Alicias Halluzinationen in Form eines missgestalteten Zwergs und anderen Begleiter:innen - gesprochen. Alicia ist ein Genie auf dem Gebiet der Mathematik und lässt sich zu verschiedenen Mathematikern und ihren Theorien aus. Dem zu folgen war mir zwar durchaus möglich, trotzdem hat sich mir leider nicht erschlossen, was mir der Autor mit seinem Roman eigentlich grundsätzlich sagen möchte. Hat der Roman überhaupt eine Aussage? Ich weiß es wirklich nicht.

Mögen die Passagen zu Mathematik, Physik usw. eventuell fachlich korrekt sein, so ist es das gesamte psychiatrische Setting überhaupt nicht. Es wird mitunter Vokabular falsch verwendet, so nutzt McCarthy als Adjektiv für die Erkrankung „Schizophrenie“ das Wort „schizoid“, was fachlich vollkommen falsch ist, weil „schizoid“ erst einmal „nur“ eine Persönlichkeitsausprägung auf einem Kontinuum von Persönlichkeitseigenschaften beschreibt, die in der höchsten Ausprägung einer Persönlichkeitsstörung auftreten kann und somit einem grundsätzlich anderen Konstrukt zugrunde liegt als die psychische Erkrankung der schizophrenen Psychose. Ob dies unwahrscheinlicherweise in der Übersetzung schiefgelaufen ist, kann ich nicht beurteilen, da mir bis zu dieser Stelle im Roman nicht der englischsprachige Originaltext vorliegt. Was aber darüber hinaus zu bemängeln ist, die Umsetzung des gesamten therapeutischen Kontakts zwischen diesen beiden Personen. Der Therapeut folgt keinerlei authentischen Vorgehensweise oder zumindest den Grundregeln der Gesprächsführung. Einen Behandlungsplan scheint es nicht zu geben. Die Patientin scheint sich Hände tätschelnd in eine Sterbebegleitung begeben zu haben. Hanebüchen ist die Übersetzung des vom Psychiater (ermüdend) oft genutzten „All right.“ ins deutsche „Na gut.“ Damit sorgt der Übersetzer Dirk van Gunsteren zu noch mehr passiver Schicksalsergebenheit des Psychiaters als ohnehin schon im Gespräch in jedem zweiten Ausspruch von ihm steckt. Ich könnte mich an dieser Stelle noch ausführlicher über diese alles andere als authentische Behandlungssituation auslassen, belasse es aber dabei und nehme an, der Autor hat zwar sehr viele Freunde aus diversen naturwissenschaftlichen Fachgebieten, deren Wissen er in diesem Buch einfließen hat lassen, ein:e Psychiater:in oder Psycholog:in scheint jedoch nicht darunter zu sein.

Nach der ersten Hälfte des Buches hätte ich es am liebsten frustriert abgebrochen, habe dann aber doch unter der Prämisse weitergelesen, dass sich hier einfach nur zwei Menschen unterhalten, von der eine ein fachsimpelndes Genie ist und der andere irgendeine Person, aber kein Psychiater. Dann war es erträglich und wurde zum Ende des Buches hin sogar noch interessanter. Dies lag meines Erachtens auch daran, dass Alicia endlich noch längere und zusammenhängendere Redebeiträge zugestanden wurden. Allein aufflackernde Deutungen im Zusammenhang mit dem Inhalt aus „Der Passagier“ sind an diesem Roman wirklich interessant. Für mich erschließen sich jedoch kaum die tatsächlich dahintersteckenden Theorien, die uns Cormac McCarthy (hoffentlich) mitteilen möchte. Vielleicht gibt es diese aber auch gar nicht und es handelt sich bei „Stella Maris“ allein um ein prätentiöses Spätwerk eines gut belesenen Autors. Die Figurenkonstellation, die Figurenzeichnung sowie - und vor allem! - das Setting ist mir also zu unauthentisch. Die Figuren und ihr Dialog scheinen mir nur Marionetten und Mittel für McCarthys Anliegen, all sein gesammeltes Wissen in kondensierter Form in dieses (letzte?) Buch zu packen.

Wenn ich nun meine komplette Lektüre betrachte und die mildernden Umstände gelten lasse, wie ab der Hälfte des Romans getan, komme ich auf solide 3 Sterne. Ein gutes Buch, welches ich empfehlen würde nicht alleinstehend sondern als Folgelektüre zu „Der Passagier“ zu lesen; welches vielleicht besser als Ergänzung zum Inhalt innerhalb des ersten Romans (also alles in einem) funktioniert hätte.

3/5 Sterne