Rezension

So poetisch können Zombies sein!

Mein fahler Freund - Isaac Marion

Mein fahler Freund
von Isaac Marion

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt

 

Können Zombies sich für mehr interessieren als nur für das Fleisch Lebender? Können sie Gefühle entwickeln? Und können sie sich sogar in diejenigen verlieben, die sie eigentlich töten und fressen wollen?

 

R ist schon ein wenig anders als seine Mituntoten. Zu gerne will er wissen, wer er einmal gewesen ist, vor allem welchen Namen er früher gehabt hat. Leider kann er sich an nichts Genaues erinnern. Sein Streben wird hauptsächlich von seinem Hunger ausgefüllt, selbst wenn seine Gedanken um ein Vielfaches poetischer und philosophischer sind, als man es bei einem Vertreter seiner Art je vermutet hätte.
Doch sein Unleben wird erst richtig kompliziert, nachdem er bei einem Streifzug durch die nahe Stadt das Gehirn eines jungen Mannes verspeist und plötzlich einen Flashback nach dem anderen aus dessen Vergangenheit miterlebt.
Zu allem Überfluss entwickelt er daraufhin auch noch Gefühle für Julie, die Freundin seines Opfers, und erkennt eines klar und deutlich: SIE will er auf keinen Fall verspeisen!

 

Meinung

 

Auf Mein fahler Freund oder Warm Bodies, wie der Alternativtitel heißt, war ich ganz besonders gespannt. Zombies, die sich verlieben, die romantische Gefühle entwickeln? Und das ohne in völlig absurden Kitsch zu verfallen? Anfangs war das für mich für Wesen, die sonst nur Grusel und/oder Ekel auslösen, schwer vorstellbar. Aber ich war schnell überrascht, wie gut es funktionieren kann. R habe ich gleich ins Herz geschlossen. Obwohl er sich kaum wirklich artikulieren kann, sind seine Gedanken weitaus weitschweifiger und tiefgründiger, als man sie einer lebendigen Leiche zutraut. Besonders gefallen hat mir dabei der trockene Humor, mit dem R sein Dasein betrachtet. Zwar finden sich in dem Roman die meisten bekannten Zombieklischees wieder, doch werden sie von der Hauptfigur selbst ironisch, manchmal sogar richtig sarkastisch auf die Schippe genommen. Zudem wird mit jeder Seite immer deutlicher, dass R weitaus mehr ist als eine seelenlose Fressmaschine und sich unter dem Einfluss von Julie weiterentwickelt.

 

Diese Entwicklung wird mit viel Philosophie aufbereitet, die der Handlung trotz des eigentlich einfachen Schreibstils etwas Poetisches verleiht. Dadurch umschifft Marion gekonnt den Kitsch, in den die Liebesgeschichte hin und wieder abzudriften droht. Man erkennt sehr schnell dank Rs vielen Überlegungen, dass Menschen und Untote nicht viel anders ticken: Beide wollen das, was sie sich aufgebaut haben, mit allen Mitteln verteidigen, manchmal sogar ohne zu bemerken, dass es auch ohne Gewalt möglich ist, weiterzuexistieren. Andererseits leben nicht wenige unter ihnen, die mit den herrschenden Umständen absolut nicht so zufrieden sind, wie sie nach außen hin vorgeben.
Leider deutet der Autor dabei einige Wesentlichkeiten nur an und versteckt sie hinter seinen ideologischen Ausführungen. Man kann lediglich Vermutungen anstellen, sich allerdings nie sicher sein, ob jene auch zutreffen. Das ist vor allem in Julies Fall, über die man bloß szenenhafte Ausschnitte aus ihrem Leben erfährt, sehr schade. Da wäre mir etwas mehr Ausführlichkeit und Klarheit wesentlich lieber gewesen, um ihren Charakter besser fassen zu können.

 

Fazit

 

Mein fahler Freund ist meiner Meinung nach ein gelungenes Debüt über eine völlig andere Sicht auf lebende Tote, wie sie so mancher Horrorfilm suggeriert. Sie mögen träge, nicht besonders redegewandt und hauptsächlich auf menschliche Gehirne fixiert sein. Aber das bedeutet nicht, dass nicht höchst philosophische Gedanken in ihren Kopf herumspuken und weitaus mehr in ihnen steckt. R ist zumindest eine der sympathischsten Figuren, die ich seit langem kennen lernen durfte. Ein Zombie zum Verlieben, nicht nur für Julie!
Wer also übernatürliche Romanzen liebt und mal etwas Abwechslung vom gängigen Vampirtrend braucht, dem sei das Buch wärmstens empfohlen!