Rezension

super!

Die Farbe des Kraken - Volker König

Die Farbe des Kraken
von Volker König

Bewertet mit 5 Sternen

== Über den Autor: ==

Lebenslauf von Volker König

"Natürlich schreibe ich nicht seit 1965. Als ich aber später genug Sätze gefunden hatte, begann ich zu schreiben. Thematisch und formal will ich mich nicht festlegen, aber ich fasse mich dem Himmel sei Dank gern kurz." (quelle: lovelybooks.de)

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== Produktinformation: ==

* Taschenbuch: 104 Seiten
* Verlag: Books on Demand; Auflage: 1 (6. April 2009)
* Sprache: Deutsch
* ISBN-10: 3837077705
* ISBN-13: 978-3837077704
* Größe : 0,6 x 12,5 x 20 cm

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== Buchrückentext: ==

Eines schönen Tages wird Kurt aus seinem Leben gerissen, weil ihn jemand umlegt. Er gerät in eine ebenso skurrile wie seltsam vertraute Welt. Soll er sich mit ihr abfinden, oder ihr zu entkommen suchen?

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== Preis: ==

Das Taschenbuch kostet 8,90 Euro [D] und ist in den meisten On- und Offline Buchhandlungen erhältlich.

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== Leseprobe: ==

... Der seltsamste Tag meiner Kindheit kündigte sich an, als meine Mutter in der Tür meines Zimmers erschien, an den Türrahmen gelehnt, mit vor der Brust verschränkten Armen und einem Lächeln, als habe sie fragen wollen: „Rate mal, wer heute zu Besuch kommt?“ 

Stattdessen fragte sie: „Rate mal, wer heute gestorben ist?“ 
Ich weiß noch, als es den Opa meiner Sandkastenfreundin Angelika erwischt und wie sie mit rotverheulten Augen vor mir gestanden hatte. Und nun war mir selbst auch zum Heulen zumute, als ich vom Tod meines Opas Kurt erfuhr. Immerhin war mir nur dieser Opa geblieben.  

Der andere, der Vater meines Vaters, war in Amerika zur Welt gekommen, denn seine Eltern hatten vor den Nazis fliehen können. Als dann Jahre später die Südvietnamesen von ihren Nachbarn überfallen wurden, stieg in ihm der Zorn gegen alles Unmenschliche auf, und er beschloss als befehlshabender Offizier, den Angreifern eine Lektion zu erteilen. Schwer zu sagen, wer von wem was gelernt hat. Die nordvietnamesischen Angreifer lernten zumindest seine harte Hand kennen, verpassten ihm dafür aber eine Kugel in die Schulter, die seinen rechten Arm völlig lähmte. Später erlag er zu Hause in Amerika einer schlimmen Krankheit, weil ihn nämlich während jener irrsinnigen Kämpfe eine Mücke überfallen hatte, die er zwar wieder hatte abschütteln können, der er aber soviel Zeit gelassen hatte, dass sie etwas noch viel Winzigeres in ihm hatte deponieren können. Dieses Winzige war ihm tief ins Blut gekrochen, um dort Verwüstung anzurichten. In einem Taxi - vielleicht der Ort, wo es mehr Helden ereilt, als wir erwarten - hatte der Winzling sein Werk soweit vorangetrieben, dass mein amerikanischer Opa seine Lebenszeit hatte segnen lassen können. Ich habe diesen Opa daher nie kennengelernt. 

Mir stand jedenfalls reichlich Wasser bis Oberkante Unterlid, weil ich Opa Kurt so gern hatte. Meine Mutter wusste natürlich darum, und so erkläre ich mir ihr Lächeln heute damit, dass sie mich auf eine andere Spur hatte bringen wollte. Sie selbst hatte diese Spur bereits damals verfolgt.  ...

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== Mein Lesererlebnis: ==

Auch ich hatte ja ewig keine Novelle mehr gelesen. Ich glaube die Reclam Büchlein aus meiner Schulzeit waren so mehr oder weniger vor etwa 30 Jahren meine letzten Novellen gewesen. Eine Novelle ist eine kurze Erzählung  in Prosaform.

Das Cover finde ich macht sehr neugierig, weil man sich aufgrund des Covers (und des Titels) ja erst einmal überhaupt nicht vorstellen kann, um was es überhaupt gehen könnte in dieser Novelle - es sei denn man liest den Buchrückentext.

Zu Beginn merken wir, dass hier jemand gestorben ist und wir uns gleich mitten auf einer Beerdigungsfeier befinden werden.  Und auch erfahren wir, wie Gerda und Opa Kurt sich kennen gelernt haben. Das gefiel mir wunderschön und rührend und so eben ist die Liebe: Liebe auf den ersten Blicke, auf den letzten Blick, jeden Blick. (stammt aus Nabokovs "Lolita") Hier eben Liebe auf den ersten Handdruck, Liebe auf den letzten Handdruck, Liebe eben auf jeden Handdruck. Denn Kurt wurde mit einer Kugel in der Brust in ein Krankenhaus eingeliefert, in dem gerat arbeitet und er hielt ihre Hand den gesamten Aufenthalt über.

Die Novelle wird in der Ich-Form erzählt, was ich als sehr angenehm empfinde, da man sich in die Rolle des Protagonisten gut reinversetzen kann. Das Alter erfährt man anfangs  nicht, dennoch muss es sich um einen recht jungen Menschen handeln, da er ja "Junge" genannt wird. Ausserdem "bessert er ja neben dem Studium sein Geld auf" und ein Student ist ja eher jung Diese nicht ganz legale Geldaufbessern bringt ihm eben einen Schuss im Herzen ein, woraufhin er dann im Jenseits aufwacht.

Der Schreibstil gefällt mir und auch der Vergleich, dass er so unschuldig aussah wie ein Jesuskind, ich mag solche Wortspielereien. Auch der Titel des 2. Kapitels "Beim Metzger". Die Warteschlange für ins Tor zum Jenseits mit dem Nummern ziehen hatte mich auch spontan daran erinnert, wie ich beim real-Markt meine Nummernkarte beim Metzger ziehen muss.

Auch wie er zu verhandeln versucht mit Pepe, einen Oberen im Jenseits: "Du bist ein vorschriftsmäßig Verblichener!" Und er versucht wirklich immer noch zu dealen, ob er nicht doch eben kein Verblichener sein darf.

Jedenfalls ist es so, dass der  Ich-Erzähler im 1. Kapitel der Enkel von Opa Kurt ist und in den "Zwischenkapiteln, die Intermezzo genannt werden, finden wir uns immer wieder auf der Beerdigung von Kurt wider. Später dann aber die aufgeschriebene Geschichte von Opa-Kurt auch wieder in der Ich-Form erzählt wird, aber eben von einem anderen Kurt, nämlich nicht dem Enkel, der auf der Beerdigung befindlich ist, sondern der Verblichene, um den es auf dieser Beerdigung ja geht. Also einmal erzählt Kurt´s Enkel und dann wieder Kurt selbst. Was ja das Intermezzo wieder verdeutlicht, wo eben der erste Ich-Erzähler über das gerade Gehörte vom 2. Ich-Erzähler nachdenkt. Busserl kompliziert, aber beim Lesen versteht man es. Die Geschichte, die nicht auf der Beerdigung passiert, also nicht das Intermezzo, ist aus der Sicht des Verstorbene beschrieben und wird auf dessen Beerdigung zum besten gegeben.

Was ich nicht ganz verstanden habe, ob er wieder reanimiert wurde und das Erlebte aufgeschrieben hat und dann erneut verstorben ist oder wie man so den Erkenntnissen seiner Erlebnisse kam. Aber das ist ja gerade undurchschaubare Geschehen, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alles ineinander verläuft. Und da wir ja in unseren Nachkommen weiterleben, sind wir ja sowieso mehr oder weniger immer ein- und dieselbe Person.

Ausserdem hat mich gleich das 1. Kapitel nachdenklich gemacht, weil es ja tatsächlich so ist: Stirbt jemand, dann denkt man nicht nur an den Tod des gerade Verstorbenen, sondern auch den irgendwann einmal selbst eintreffenden und trauert quasi im Vorfeld auch schon um sich seiner eigenen armen Seele Willen.

Das Buch ist dermaßen satirisch und ironisch verfasst, dass man beim Lesen fast gar keine Angst mehr vor dem Jenseits bekommt, wenn es denn so werden würde wie der Schildere es "erlebt" hat. So witzig kenne ich das Jenseits nur vom "Münchner im Himmel" der ja auch nach einem Bier verlangt und (hier ist es Ambrosia!), sondern höchstens Manna bekommt. Halleluja.

Irgendwann erfahren wir auch wie alt der Erzählende ist. Nicht - wie ich zuerst getippt hatte ein Anfang-Zwanziger, sondern ein Mittdreißiger. Obwohl er im Jenseits zwar sein Alter wählen darf und sich gegen eher 16 J. zu eher seinem Alter entscheiden, in dem er auch tatsächlich verblichen ist. Natürlich kurz bevor er erschossen wurde, damit das hässliche Loch in seiner Brust verschwindet. (Haha) Habe mich gekringelt darüber.

Ebenso auf S. 49: "Jesus, halt die Klappe" total zum Kringeln.

Jesus, der als Handpuppe seinen Auftritt hat!! Ja und das sei keine Blasphemie, weil er ja eh immer täte, was sein Vater sagt und somit sei er ja von einer Handpuppe nicht weit entfernt. ( Kreisch!)

Und auch wie Gott, Allah und Jahwe miteinander diskutieren ist zum Piepen.
Und noch besser: Ob die 3 sich auch um die Bewohner andere Planeten kümmern würden... (Schrei)

Auch das hat mich amüsiert, dass der Papst als Marktschreier im jenseits auftritt und sein Gefolge als Hütchenspieler. Er durchlebt im Jenseits - obwohl der Begrifft "lebt" ja gar nicht mehr so recht passt, sämtliche Stationen, lernt alle möglichen Gottheiten von Manitu bis eben Gott kennen, verhandelt und reklamiert, ja und nimmt sie eine winzige Gottheit ohne Namen sogar als Geisel. Erinnert mich fast ein wenig - vom Schreibstil her und von der Wahl der Sprache - an ein modernes Märchen.

Mit den genau 100 Seiten kam ich schnell durch und wurde in 2 Leseabschnitten schnell fertig und muss sagen, das war wirklich ein Meisterwerk. "Keine Blumen" würde die im 102. Lebensjahr verstorbene Oma meines Mannes sagen (Die Erde sei ihr leicht!), die niemals Komplimente nur einfach so vergab, sondern nur wenn es wirklich einem zustand.

Ich habe selten so gelacht, fand die Schreibweise herrlich erfrischend. Die Intermezzo-Seiten im Konjunktiv verfasst und die Kapitel-Überschriften ( Bsp. Dictyostelium!! HAHA!!) perfekt gewählt. 

Beim Ende war ich mir nicht sicher: Der Kurt im Aquarium war der zuvor kleine Kurt mit seinem Enkel (also Ur-Ur-Enkel vom Loch-im-Körper-Kurt???) oder war das gar der Ur-Kurt?? Wobei der die Beerdigung ja nicht vollsten Bewusstseins miterlebt hätte haben können. (hätte haben können - da heben wir wieder den Konjunktiv!) Mehr verrate ich zum Ende aber auch nicht, weil sonst wäre es ja nicht mehr spannend!!

Wie das Buch mit seinem Titel zusammenhängt, das werdet ihr gegen Schluss erfahren und verstehen!!!

 

by esposa1969