Rezension

Taffe Frauen, schratige Einzelgänger und der Kampf um Lebensraum für Waldkaribus

Still -

Still
von Alice Henderson

Bewertet mit 4 Sternen

Dr. Alex Carter arbeitet als Wildtierbiologin in den Selkirk Mountains nahe der kanadischen Grenze. Grund ihrer Anstellung ist das verwischte Bild aus einer Wildkamera im Naturreservat, das ein seltenes Bergkaribu zeigen könnte. Als Folge des Klimawandels hatten Karibus in der entlegenen Gegend zwischen Idaho und Washington State nicht mehr genug Flechten als Nahrung finden können und die verbleibenden beiden Tiere waren nach British Columbia transportiert worden.

Alex nimmt begeistert ihre neue Tätigkeit auf. Sie wird Wildkameras überwachen, die Wege des Einzelgängers per GPS-Halsband dokumentieren und so hoffentlich weiteren Tieren auf die Spur kommen. Da Alex‘ ihrer Tätigkeit in entlegenen Landstrichen meist allein nachgeht, freut sie sich, ihre alte Freundin Kathleen Macklay wiederzutreffen, die in der Nähe ehrenamtlich auf einem Feuerturm wacht, um beginnende Waldbrände zu melden. Ebenfalls in Alex‘ Nähe hat auf Privatgrund die Abholzung alter Waldbestände begonnen, gegen die vor Ort eine Baumschützerin protestiert, indem sie seit Monaten auf einer riesigen Zeder lebt. Die Abholzung würde einer Karibu-Herde ihre Route in die Berge durch dichten Wald abschneiden. Außer dem voraussehbaren Konflikt zwischen Naturschützern und Holzkonzernen beunruhigt Alex die Nachricht von einer vermissten Wanderin, als der weibliche Sheriff Meggie sie bittet, im Wald vorsorglich nach Amelia Fearweathers Kleidung und Besitz Ausschau zu halten.

Alex realisiert schon bei der ersten überprüften Wildkamera, dass jemand aus den Aufzeichnungen Fotos entfernt hat. Offensichtlich ist die Biologin der Person mit dem geplanten Karibou-Projekt auf die Füße getreten. Wenn Nebel sich aus den Wäldern erhebt, könnte man an Märchenwesen glauben. Alex fühlt sich jedoch unmärchenhaft durch eine professionell ausgestattete Drohne verfolgt. Die Begegnung mit einem scheuen, schratigen Wesen beendet Alex‘ optimistische Vorstellung, in den Selkirks in aller Ruhe das letzte Karibu aufzuspüren. Als in Bellamy Falls die skelettierte Leiche einer Park-Rangerin drapiert wird, fragt sich nicht nur Alex, ob die sonderbaren Vorgänge zusammenhängen.

Alice Henderson lässt in einem Naturreservat im äußersten Nordwesten der USA die Dinge eskalieren. Die Bedrohung des Ökosystems durch Klimawandel und Holzeinschlag schildert Henderson sehr engagiert und mit umfangreichem Infodumping. Da Alex täglich weite Strecken zu Fuß zurücklegt, kann ich mir diese Passagen durchaus als ihr Gedankenkarussell vorstellen. Längen entstehen durch lange Telefonate zwischen der Biologin und ihrem Vater bzw. mit ihrer alten Freundin. Mit Alex, Kathleen, Sheriff Maggie und der Baumschützerin Agatha tritt zunächst ein reines Frauen-Team auf, doch dabei wird es nicht bleiben.

Stimmungsvolles Setting im Naturschützer-Milieu und taffe Frauenfiguren zogen mich sofort mitten in die Handlung, Gewalt- und Actionszenen hätte ich in diesem Ausmaß nicht gebraucht. Die deutsche Übersetzung des anspruchsvollen Thrillers wirkt in der Wortwahl teils banal und hätte noch letzten Schliff benötigt. Wer sich pitschnass aus einem reißenden Gebirgsbach rettet oder durch dichten Wald hetzt „geht“ nicht.