Rezension

Tante Hulda sieht, wie die Menschen "innen drin" sind

Mittwochtage - Sylvia Heinlein

Mittwochtage
von Sylvia Heinlein

Bewertet mit 5 Sternen

Sara hatte es wenigstens versucht. Sie wollte ja gern ein Ponymädchen sein wie die anderen aus ihrer Klasse, die sich von früh bis spät über Pferde unterhalten. Ponys sind OK, aber ein zweites Mal will Sara nicht auf den Ponyhof. So bleibt sie auf dem Schulhof meist allein. Der einzige Tag der Woche auf den Sara sich freut ist Mittwoch, wenn sie sich mit Tante Hulda in deren Wohngruppe trifft. Von ihrer Lieblingstante fühlt Sara sich verstanden. "Du hast so Fühlerchen auf dem Kopf. Mit denen kannst du alles fühlen, was los ist. Und dann machst du dir Gedanken darüber. Das ist genau richtig so." ermuntert Tante Hulda ihre Nichte. Saras Tante liebt schöne Wörter und schöne Erinnerungen. Die geistig behinderte Schwester von Saras Mutter fragt sofort jeden Fremden aus, was mitunter zu peinlichen Zwischenfällen führen kann. Solange Huldas Leben in festen Bahnen verläuft, ist alles gut. Aber wehe Hulda muss sich aufregen, dann wird sie richtig krank.

Saras Eltern haben wenig Zeit für ihre Tochter. Die Mutter ist als Journalistin häufig beruflich unterwegs, der Vater baut von zu Hause aus Internetseiten und verbringt die meiste Zeit am Telefon. Für Mutter Liane war die Verantwortung für Hulda seit ihrer Kindheit schon immer eine Last. Sara sollte ihre Zeit mit gleichaltrigen Freundinnen verbringen und nicht mit ihrer behinderten Tante, sorgt sich Liane. Das vertraute Verhältnis zwischen ihrer Tochter und ihrer Schwester versucht Liane mit Tricks zu unterbinden, die Sara wütend machen. Auch Hulda, die sehr sensibel auf Stimmungen reagiert, merkt genau was los ist. Hulda ist behindert, aber nicht dumm. Aus Wut und Enttäuschung wird Hulda zum Wirbelsturm. Liane hat endgültig die Nase voll von den "komischen Phasen" ihrer Schwester und will Hulda in eine Wohngruppe auf dem Land verpflanzen. Das geht ja nun gar nicht! Wie soll Hulda von dort zur Arbeit in der Behindertenwerkstatt kommen - und was wird ihre aktuelle Wohngruppe ohne sie tun? Die Auswirkungen ihrer unüberlegten Aktion auf das empfindliche Gleichgewicht der Wohngruppe bekommt Liane eindrucksvoll zu spüren. Auf Sara allein lastet nun die Verantwortung, zwischen gestresster Mutter und zutiefst verletzter Lieblingstante zu vermitteln. Der einzige aus ihrer kindlichen Perspektive mögliche Ausweg aus der verfahrenen Situation scheint ziemlich verrückt. Sara und Hulda treffen auf ein paar unangepasste liebenswerte Menschen, die die Welt mit dem Blick des Künstlers wahrnehmen und Sara zeigen, wie sie für ihre eigenen Träume kämpfen kann.

Sylvia Heinlein gibt mit ihrer kurzen Kindergeschichte tiefen Einblick in die Gedankenwelt geistig Behinderter. Die rundliche Hulda mit ihrer Liebe für rosa Dinge und ihre Ersatzfamilie in der Wohngruppe sind einfach zum Liebhaben. Was Huldas Mitbewohner Horst bewegt, der Engel malt und sein Schmusekissen Victoria getauft hat, vermittelt Anke Kuhl mit ihren Engel-Illustrationen, die sich um den Text ranken.

Empfohlen wird das Buch für Leser ab 10, etwa so alt wird auch Sara sein.