Rezension

Thriller mit langem Atem

Belladonna, Sonderausgabe - Karin Slaughter

Belladonna, Sonderausgabe
von Karin Slaughter

Bewertet mit 3 Sternen

Eine Kleinstadt in Georgia (USA) wird von einem brutalen Mörder heimgesucht. Der örtliche Polizeichief Jeffrey Tolliver zählt auf die Mithilfe von Sara Linton bei der Aufklärung der schrecklichen Taten. Diese ist nämlich nicht nur Kinderärztin, sondern auch Gerichtspathologin. Doch sie rechnet nicht damit, dass die jüngsten Ereignisse eng mit ihrer Vergangenheit verflochten sind. 

Und natürlich stellt sich nun die Frage: Werden sie es schaffen, den Mörder zu fassen?

 

Die erste Hälfte des Buches zog sich für mich wie Kaugummi, obwohl gleich zu Anfang das erste Opfer gefunden wird. Natürlich müssen erst die Charaktere vorgestellt werden, bevor die Spannung aufgebaut wird, aber ich habe den Großteil des Buches als übertrieben langatmig empfunden.
Grund dafür ist wahrscheinlich die riesige Ansammlung von Klischees, die man vorfindet. Zum einen erahnt man schon auf den ersten Seiten, dass man es mit einer problembelasteten Arbeitsbeziehung zwischen Sara Linton und ihrem Ex-Ehemann Chief Jeffrey Tolliver zu tun haben wird und dass es zwischen den beiden vielleicht und ganz eventuell noch einmal funken könnte. Solche Spannungen finden sich allerdings in jeder x-beliebigen Crime-Serie und überraschen nicht wirklich.

Vielleicht hätte ich mich mit diesen Spannungen anfreunden können, wenn mir Sara Linton früher sympathisch geworden wäre als kurz vor Ende von "Belladonna". Aus irgendeinem Grund machte sie auf mich direkt einen kühlen Eindruck. Verschlimmert wurde das Ganze dadurch, dass mich das Gefühl beschlich, man müsse sich nur irgendein Frauenklischee aus Büchern und Crime-Serien vorstellen und es träfe mit 80%-iger Wahrscheinlichkeit auf die Hauptperson zu.
Zusätzlich ist sie das typische Wunderkind, dessen Makel sogar irgendwie Stärken sind. Auch hatte ich den Eindruck, dass die Autorin die perfekte Frau erschaffen wollte und so eine Figur entstand, die den Wunschvorstellungen einer jeden Feministin entsprechen würde. Ich finde starke Frauen in Büchern toll - aber nicht, wenn ich das Gefühl habe, dass sie über der Geschichte schweben und abgesehen davon kaum Persönlichkeit besitzen. Glücklicherweise bleibt die Protagonistin nicht unnahbar.

Mein allerliebstes Lieblingsklischee als gepiercter Mensch ist, dass einer der ersten Verdächtigen mehrere Piercings im Gesicht hat und zu allem Überfluss auch noch schwarz trägt, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass sein Zimmer nach Killerspielen abgesucht wird. 

Das Buch habe ich nicht im Original gelesen, weshalb ich noch kurz etwas zur Übersetzung schreiben möchte. Was mich richtig gestört hat, ist der immer wieder auftauchende Laut "yeah". Wenn ich ein Buch auf deutsch lese, finde ich das Wort deplatziert. Es ist überflüssig, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Charaktere durchaus des Wortes "ja" mächtig sind. 

 

In der zweiten Hälfte des Buches wird es dann interessant und spannend. Es gibt noch keine genauen Hinweise auf den Täter, doch Linton und Tolliver werden endlich aktiv. Man erfährt einiges aus der Vergangenheit, was sehr aufschlussreich ist. Je weiter die Geschichte fortschritt, desto mehr hat sie mich dann doch gefesselt. 

Besonders die Beschreibungen der jeweiligen Tathergänge regten das Kopfkino an und jagten mir mehr als einmal einen Schauer über den Rücken. Zartbesaiteten mit sehr lebhafter Fantasie empfehle ich, nach diesen Stellen im Buch folgendes Lied zu hören: http://www.youtube.com/watch?v=eWM2joNb9NE

Mein Lieblingscharakter in "Belladonna" ist die Polizistin Lena Adams. Sie ist die typische toughe Frau, die sich "durchbeißt". Beschreibungen ihrer Gefühlszustände und Persönlichkeit sind Karin Slaughter ziemlich gut gelungen, wenn sie auch hier nicht auf Klischees verzichtet. 

 

"Belladonna" ist an sich recht vorhersehbar. Man kann sich schon recht früh vorstellen, welche Person welche Rolle am Ende übernehmen wird. Mein größtes Problem mit dem Buch ist, dass ich mit der Hauptperson Sara Linton nicht warm geworden bin. Hierdurch fällt meine Gesamtbewertung des Buches eher ernüchternd aus, weil die Geschehnisse anfangs nur sehr langsam foranschreiten. In der zweiten Hälfte wird "Belladonna" dem Genre gerecht und sorgt für Gänsehaut (und dafür, dass einem ab und zu ein wenig schlecht wird).

Für eine Episode einer Crime-Serie wäre "Belladonna" sicher die perfekte Vorlage; die Ausführlichkeit des Buches macht den Thriller sehr lang und lässt wenige Tage wie eine kleine Ewigkeit erscheinen.