Rezension

Toller Sprung zurück

Die Tote in der Sommerfrische - Elsa Dix

Die Tote in der Sommerfrische
von Elsa Dix

Norderney 1912: Die feine Gesellschaft verbringt den Sommer am Meer. Unter ihnen ist Christian Hinrichs, der nicht zu den oberen Kreisen gehört, aber für ein Magazin einen Artikel über den Urlaub auf der Insel verfassen soll. Doch die Ruhe wird vom überraschenden Tod des Zimmermädchens Henny gestört, die eine Freundin des Gastes Viktoria Berg gewesen ist, auch wenn sie weit unter deren Stand anzusiedeln war. Als dann ein Gast ermordet wird, sind Viktoria und Christian sicher, dass es sich nicht um einen Zufall handelt. Sie beginnen auf eigene Faust zu ermitteln ...

1912, das Jahr des Untergangs der Titanic. Die Katastrophe ist nur wenige Monate alt, doch seinen Sommerurlaub will man sich davon nicht vermiesen lassen. Das Unglück findet in dem Krimi nur eine kurze, beiläufige Erwähnung. Vielleicht ist man des Themas auch einfach überdrüssig und daher macht es nichts aus, dass darauf nicht eingegangen wird, vielleicht empfindet man diesen Umstand aber auch als etwas störend. Mich hat er jedenfalls sehr irritiert. Doch dieser kleine Nebeneffekt soll die Freude an der Lektüre nicht schmälern. Beginnend mit dem Tode Hennys wird der Leser um 100 Jahre zurückversetzt. Das Obrigkeitsdenken war noch ein völlig anderes, die Abstufungen zwischen Arm und Reich deutlicher. Zu vieles, was unschicklich war, nicht erlaubt, Anstoß erregte. Dazu gehört auch, dass eine verheiratete Frau keine Entscheidungen treffen durfte und vom guten Willen ihres Mannes und dessen Zustimmung zu allem, abhängig war.

Elsa Dix hat sich intensiv mit Verboten, Gesetzen, Regeln und der damaligen Zeit zwischen Kaiserreich und Weltkrieg auseinandergesetzt. Dadurch schaffst sie es, viele Details einzubauen und eingehend zu erklären, was aus heutiger Sicht nicht mehr denkbar wäre - zumindest nicht in einem aufgeklärten, demokratischen, gleichberechtigten Deutschland. Dem Leser fällt es auf diese Weise auch gar nicht schwer, sich in diese Zeit zu versetzen und die Komplikationen, die dadurch entstehen, nachzuvollziehen.

Die Autorin kann aber dennoch Spannung aufbauen, kreiert Verwicklungen, die den Leser bei Laune halten und ihn mitfiebern und selbst ein bisschen raten lassen, wer denn nun Opfer und Mörder ist oder ob es doch ein Suizid war. Vielleicht haben beide Tode auch gar nichts miteinander zu tun und man wurde auf eine falsche Fährte gelockt? Trotz aller Spannung bleibt es nicht aus, stellenweise ungeduldig zu werden, sich nicht gar zu langweilen. Viele Kapitel drehen sich um das Drumherum, was darf man, warum kann Viktoria nicht machen, was sie will, warum ist Christian, wie er nun mal ist, was ist denn mit den beiden überhaupt? Weitab vom Kriminalfall konzentriert sich Dix vielleicht etwas zu oft auf eine Beschreibung der Gesellschaft und des Lebens von 1912, da heißt es hier und da: Durchbeißen!

Die Tote in der Sommerfrische versetzt den Leser in die deutsche Vergangenheit und kann hervorragend das süße und auch harte Leben um 1912 beschreiben. Der Roman ist ein Ausflug in die Geschichte, detailliert mit liebevoll skizzierten Protagonisten und einem für sich genommen spannenden Kriminalfall.