Rezension

Unausgegorene Emanzipationsromantik

Das unsichtbare Band -

Das unsichtbare Band
von Haneen Al-Sayegh

Bewertet mit 1 Sternen

Amal wächst in einem Dorf der Gemeinschaft der Drusen in den Bergen des Libanon auf, aus ihrer Sicht wird die Geschichte erzählt. Das Drusentum ist so etwas wie eine Geheimreligion, deren „Bücher der Weisheit“ einem kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten sind – die Nicht-Eingeweihten „sind aufgefordert, an unsere Religion zu glauben, ohne zu wissen, was diese genau beinhaltet“. Frauen sind rechtlos – dass Amal zur Schule gehen darf, ist eine große Errungenschaft. Aber bevor sie diese abschließen kann, wird sie im Alter von 15 Jahren zwangsverheiratet. Wird sie ihren Traum vom Universitätsstudium begraben müssen?

Klingt spannend, ist es aber nicht. Keine der Figuren hat psychologische Tiefe, auch die Protagonistin nicht. Ein guter Ansatz ist das Thema der inneren Unfreiheit durch die Internalisierung der erlernten religiösen Normen, nur konzentriert sich die Handlung auf Leidensschilderungen und vergisst die gesellschaftliche Analyse. Die Gedanken der angeblich so brillanten Studentin Amal sind voller Klischees und gänzlich unoriginell, ihre inneren Kämpfe überzeugen nicht. Ihre behauptete Intellektualität wird durch pseudo-philosophische Plattheiten eher konterkariert als bewiesen. Auch die Nebenfiguren wirken künstlich und unglaubwürdig, Eigenschaften und Entwicklungen werden behauptet, nicht gezeigt.

Ab der Mitte des Romans sinkt das Niveau ins Bodenlose; ich konnte die Handlung nicht mehr ernst nehmen, nicht nur der Trivialität wegen, sondern weil ihre Details offensichtlich nicht zu Ende gedacht worden sind. Das Zitat auf dem Vorsatzblatt lässt autobiographische Inhalte vermuten – dennoch sollten Plot und Personen plausibel sein. Der Titel schließlich bezieht sich auf das Band, "das Frauen über große Distanzen hinweg verbindet wie das Wurzelwerk alter Bäume“. Davon ist im ganzen Roman nichts zu finden, es bleibt eine bloße Behauptung.

Auch die Sprache gefiel mir überhaupt nicht. Es gibt viele unbeholfene Formulierungen, die Figuren unterhalten sich in gestelzten Dialogen und schwülstigen Sentenzen – in viktorianischen Theaterstücken hat man vielleicht so gesprochen. Die plumpe Poesie der Briefe, die die Protagonisten einander schreiben, bleibt leider auch der Leserin nicht erspart und stellt einen weiteren Tiefpunkt des Romans dar. Orientalische Blumigkeit, das haben andere Autoren bewiesen, muss kein Synonym für Kitsch sein.

Zumindest der Einblick in eine fremde Kultur hätte mich ein Stückweit mit den sprachlichen und psychologischen Mängeln versöhnen können. Leider bleiben aber die Informationen zum Drusentum spärlich, vielleicht weil die Autorin selbst nicht zu den Eingeweihten gehört, und werden in wenigen Variationen durch den Roman hindurch wiederholt. Der Roman bedient alle Erwartungen an eine Geschichte aus dem arabischen Raum: Willkürliche religiöse Regeln, empathielose Patriarchen, geknechtete Frauen, deren Körper benutzt, deren Intellekt abgetötet und deren Seelen gebrochen werden, Mütter, die Komplizen des Patriarchats werden und Töchter, die aufs Äußerste erniedrigt werden, bevor sie sich befreien können. Letztlich ist das Drusentum im Roman austauschbar gegen jede beliebige repressive, misogyne Religion, seien es nun evangelikale  Christen, radikale Muslime oder orthodoxe Juden.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem System und seinen Komplizinnen ist der Autorin aus meiner Sicht nicht gelungen; eine Meta-Ebene wird nicht erreicht. Das letzte Romandrittel mit seinem süßlichen Ende erinnert eher an einen Sylvia-Roman. Für mich eine große Enttäuschung.