Rezension

Warmherziges Rätsel eines Sommers

Zimtsommer - Sarah Jio

Zimtsommer
von Sarah Jio

Bewertet mit 4 Sternen

"Zimtsommer" versteht es auf seine ganz eigene besondere Weise, die Melancholie des Vergangenen mit gegenwärtiger Aufbruchstimmung zu vereinen und dabei ein lang existentes, aber längst nicht in Vergessenheit geratenes Rätsel zu klären.

"Zimtsommer" erzählt von der New Yorker Reisejournalistin Ada, deren Mann und kleine Tochter zwei Jahre zuvor bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen sind, und die während des Sommers auf ein in Seattle liegendes Hausboot flüchtet, um ihren traurigen Erinnerungen und dem von Trauer dominierten Alltag zu entkommen. Doch nicht nur Ada tritt hier als Ich-Erzählerin auf, sondern auch die junge Penny, die Jahrzehnte zuvor mit ihrem Mann, einem bekannten Maler, auf demselben Hausboot gelebt hat und plötzlich spurlos verschwunden ist ohne je wiedergesehen zu werden. 
Ada entdeckt in einer alten Truhe auf dem Boot einige Besitztümer Pennys und möchte mit ihrem "Bootsnachbarn" Alex, mit dem sich eine zarte Romanze anbahnen könnte und der als Fotograf arbeitet, Pennys Schicksal aufklären; immerhin sind beide von Berufs wegen auch investigativ erfahren. 

Als Leser lernt man das Gros über Pennys Leben aber von Penny selbst, die ihr Leben auf dem Hausboot bis zu ihrem Verschwinden schildert, sich in ihrer Ehe verloren fühlte und ebenfalls mit einem Bootsnachbarn zart anbändelte: In Adas und Pennys Schicksalen sind also durchaus gewisse Parallelen erkennbar. 

Beide Zeitstränge werden parallel zueinander erzählt und sind konsequent im Präsens gehalten; grad wenn Ada sich an Mann und Tochter erinnerte und vom gemeinsamen Leben sprach, fand ich es allerdings mitunter etwas schweieriger klar herauszulesen, ab wann der ernnernde Teil begann und bis wohin Ada sich gedanklich doch wieder in der Gegenwart befand. Stellenweise muss man hier also ein wenig konzentrierter lesen, erst recht, als man es von üblicher locker-leichter, heiterer Sommerlektüre gemeinhin gewöhnt ist.
Als ich "Zimtsommer" zu lesen begann, war ich doch eher auf was "Lässiges zum Weglesen" eingestellt, aber da bot "Zimtsommer" dann doch sehr viel mehr: Es war eher ein warmherziger Spätsommerroman als leichte Strandlektüre und ich fand die Erzählungen von Ada und Penny auch sehr atmosphärisch gewebt und die gesamte Geschichte war definitiv so gestrickt, dass ich absolut neugierig war, was hinter Pennys Verschwinden letztlich versteckt hatte, aber von der Geschichte auch so gefangengenommen worden war, dass ich jeden einzelnen Erzählmoment auskosten und nicht nur ganz schnell zur Auflösung gelangen wollte. 
Auch die sich anbahnenden Romanzen fand ich glaubwürdig dargestellt: Ada, wie sie mit sich haderte, ob es nicht Verrat an ihrem verstorbenen Mann wäre, sich neu zu verlieben und Penny, die Hemmungen hatte, ihren ihr gleichgültig gegenüber tretenden Mann zu hintergehen, erst recht in einer Zeit, in der eine Scheidung absolut als moralisch verwerflich galt. Das waren zwei Frauen, die zweifelnd zwischen Unglück und Glück standen, und es sich nicht so leicht machten wie es in derlei Geschichten häufig dargestellt wird. Diese "plötzlich alles perfekt!"-Momente blieben hier aus und liessen die Geschichte(n) der beiden Frauen dadurch noch sehr viel authentischer wirken. 

Als ein wenig störend empfand ich lediglich den Epilog, der mir zu übertrieben erschien. Ich werde nun nicht spoilern, aber Adas Verschwinden war an dieser Stelle für mich bereits hinreichend geklärt worden und diesen allerletzten Schwenk fand ich zu sehr auf eine schicksalträchtige Bedeutung der gegenwärtigen Handlung abzielend. Mir wirkte das ein wenig zu sehr "vorherbestimmt", aber wer schicksalträchtige Momente und Geschichten mag, der wird vom Epilog sicherlich begeistert sein. 
Mir würde "Zimtsommer" ohne diese letzten Sätze allerdings noch einen Tick besser gefallen haben.