Rezension

Warum tut der Täter, was er tut?

Du lebst, solange ich es will - April Henry

Du lebst, solange ich es will
von April Henry

Bewertet mit 2.5 Sternen

Die junge Kayla wird bei der Auslieferung einer Pizzabestellung entführt, das aber sozusagen aus Versehen - eigentlich wollte sich der Täter ihre Arbeitskollegin Gaby schnappen, aber mit der hat Kayla die Stunden getauscht. Widerwillig gibt sich der Entführer erstmal mit dem "Ersatz" zufrieden, aber er stellt schnell fest, dass ihn das überhaupt nicht zufrieden stellt...

Kaylas Eltern sind am Boden zerstört, ihre Schulfreunde und Arbeitskollegen trauern, als sei sie schon tot. Aber zwei Menschen wollen das nicht einfach so hinnehmen: Drew, Kaylas Kollege, der die fatale Bestellung des Täters aufnahm, und Gaby, die weiß, dass es eigentlich sie hätte treffen sollen.

Dazu kommt noch ein bisschen Sozialkritik, denn Gaby stammt als Tochter eines Ärzteehepaares aus reichem Hause, während Drews Mutter im Drogenrausch wertlosen Plunder klaut, der sich dann in ihrer heruntergekommenen Wohnung stapelt. Durch eine angebliche Hellseherin und Gabys unerklärliche Gewissheit, dass Kayla noch lebt, kommt noch eine Prise Übernatürliches dazu.

Was nach einer soliden Grundlage für einen spannenden Jugendthriller klingt, konnte mich letztendlich leider nicht überzeugen. Die Geschichte ist einfach und gradlinig, ohne große Überraschungen oder unerwartete Wendungen. Schlimmer noch, ich hatte das Gefühl, das alles schon unzählige Male gelesen zu haben - nur deutlich besser umgesetzt.

Spannung wollte sich für mich nur selten aufbauen; mir fehlten die unmittelbare Gefahr und die Dringlichkeit. Ja, der Täter denkt gelegentlich darüber nach, wie er Kayla am besten entsorgen kann und lässt sie ein paar Tage hungern, aber ansonsten lässt er sie mehr oder weniger in Ruhe. Er verlangt von ihr, ihn "Meister" zu nennen, aber da sie sich brav daran hält, ist das Thema damit auch schon vom Tisch. Ganz ehrlich, ich brauche bei Thrillern wirklich weder bluttriefende Gewalt noch voyeuristische Beschreibungen von Demütigung oder Vergewaltigung, aber hier gibt es in meinen Augen über große Strecken des Buches fast gar keine direkte Konfrontation zwischen Täter und Opfer. 

Mir war bis zum Schluss nicht klar, warum er eigentlich Mädchen entführt. Was ist sein Motiv dabei? Ich hatte fast den Eindruck, dass er selber nicht so recht wusste, was er denn nun mit Kayla anfangen soll. Bedrohlich wirkte er auf mich nicht; er blieb für mich blass, farblos, nichtssagend.

Die anderen Charaktere haben mich ebenfalls nicht sonderlich berührt - ich fand einfach keinen Zugang zu ihnen. Auch hier fehlte mir das gewisse Etwas: dieses magische Gefühl, beim Lesen manchmal zu vergessen, dass die Protagonisten nicht "echt" sind. Dabei haben sie durchaus Potential! Gaby hat zwar ein sorgenfreies Leben, dafür aber Eltern, die versuchen, sie quasi zu einem Klon ihrer selbst zu machen. Drew hatte noch nie ein liebendes Elternhaus und ist daher sehr misstrauisch gegenüber anderen Menschen. Wie sich die beiden durch die gemeinsame Sorge um Kayla etwas besser kennen lernen, ist für mich zwar der interessanteste Teil des Buches, aber auch da blieb die Geschichte meiner Meinung nach an der Oberfläche.

Kayla... Tja, was ist mit Kayla? Wenn ich jetzt zurückdenke an das Buch, fällt mir nur ein, dass über sie öfters gesagt wurde, sie sei immer gut gelaunt und fröhlich. Deswegen hat mich die Frage, ob der Täter Kayla denn nun umbringen wird oder nicht, kaum berührt.

Was mich mehr als einmal gewundert hat: die Polizei zieht schnell auf Grundlage einer sehr, sehr dürftigen Beweislage Schlüsse. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das im echten Leben niemals so ablaufen würde! 

Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen, plätschert aber ohne große Höhen und Tiefen vor sich hin. Interessant fand ich, dass der Text immer mal wieder unterbrochen wird von Bestellzetteln, Berichten der Polizei oder Zeitungsartikeln. 

Fazit:
Der Klappentext hat sehr stark angesprochen! Leider spult sich die Geschichte in meinen Augen aber so gradlinig ab, dass der geübte Krimi- oder Thrillerleser sich mühelos denken kann, wie das Ganze ausgehen wird. Die Charaktere konnten mich nicht überzeugen; vor allem der Täter wandert so unentschlossen und antriebslos durch die Handlung, dass ich ihn weder bedrohlich noch interessant fand.