Rezension

Was ist schon normal?

Amy & Matthew - Was ist schon normal?
von Cammie McGovern

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die 17-jährige Amy kann nicht ohne Hilfe laufen und nur über einen Sprachcomputer kommunizieren. Ihren Alltag verbringt Amy nur mit Erwachsenen. Selbst in der Schule lebt sie auf ihrer kleinen Insel umgeben von ausschließlich erwachsenen Ureinwohnern. Ihre Mitschüler lässt sie an sich vorbei schwimmen. Tag ein, Tag aus. Amy fühlt sich wohl! Diese Welt ist ihr bekannt und vertraut. So war es immer schon, aber wird es auch immer so bleiben?! Eines Tages macht Amy eine Neuentdeckung. Ihr etwas sonderbarer Mitschüler Matthew konfrontiert sie mit der Wahrheit über ihre heile Welt. Und Amy muss erkennen, dass sie auf einen seltenen Schatz gestoßen ist, denn normalweiser wird sie wie ein rohes Ei behandelt. Doch Matthew ist anders, er sieht sie durch seine Augen. Unglaublich klug und wahnsinnig hübsch. In Amy wächst der Entschluss heran in ihrem letzten Jahr auf der Highschool ihre Insel hinter sich und ihr Leben beginnen zu lassen. Sie möchte Matthew kennen lernen, mit Haut und Haaren, in seiner Nähe sein. Aber vor allem mit Nähe hat Matthew ein Problem. 
Eine Geschichte, die sich sehr zaghaft und langsam entwickelt. So langsam wie sich auch Amy und Matthew entwickeln. So zaghaft wie sie sich aufeinander zubewegen. Ein Bisschen wie in Zeitlupe. Sehr vorsichtig. 
Würde man die Geschichte durch eine Kamera betrachten, dann wären die ganze Zeit über nur Amy und Matthew im Fokus. Sie werden ganz nah ran gezoomt. Nahaufnahme. Kein Filter. Keine Beschönigungen. Keine perfekte Ausleuchtung. Hier geht es um die Charaktere und um ihre Reise. Eine Reise durch ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Versuche sich zu ändern und ihre Blockaden. Eine Reise die manchmal nicht weiterführt, wo sie feststecken und verharren, sich im Kreis drehen. Immer wieder, immer das Gleiche. Aber dann gibt es auch Strecken die weiterführen, auf denen sie sich entwickeln. 
Häufig machen sie einen Schritt nach vorne und zwei zurück. Es ist ein kämpferischer und mühsamer Tanz, den sie miteinander, aber vor allem mit sich selber führen. Trotz dieser Intensität hat mir manchmal die Tiefe gefehlt und der zweite Schritt, der Schritt hinter die Oberflächlichkeit. 

Da ist Matthew, den früher sieben Mädchen an einem Abend beim Flaschendrehen küssen wollten. Sieben Stück. Eine Zeit in der für Matthew die Zahl sieben einfach nur eine Zahl war, mittlerweile würde ihm die Zahl sieben Magenschmerzen bereiten, denn sie ist ungerade und noch viel schlimmer wäre die Nähe und der Körperkontakt zu anderen Menschen. Nähe bedeutet für Matthew Bakterien, Keime, Krankheitserreger! Nähe löst bei Matthew einen Fluchtreiz aus! Weg! Hände waschen! Einmal, zweimal, dreimal! Bis zu den Ellenbogen! Und dann nochmal von vorne! Danach den Wasserhahn kontrollieren! Man ist während des Lesens in Matthews Kopf samt Körper gefangen und das ist sein Körper, ein Gefängnis. Ein Gefängnis aus Sorgen. Matthew ist eine einzige große Sorge. Für etwas anderes ist dort kein Platz. Es ist faszinierend, häufig auf eine erschreckende Art und Weise! 

Und dann ist da Amy, deren Mutter ihr beigebracht hat keine Angst vor harter Arbeit zu haben. Die ihre Tochter antreibt und ein „Nein“ oder „Das geht nicht“, schlichtweg nicht akzeptieren kann. Lesen und lernen, in allem die Beste zu werden, das hat Amys Leben bisher dominiert. Aber auf einmal bemerkt sie was ihr fehlt und spürt eine Sehnsucht in sich reifen. Man lernt Amy im Laufe der Geschichte immer besser kennen, Stück für Stück bröckelt ihre Schutzmauer. Dennoch fand ich einige ihre Reaktionen sehr überraschend, etwas Charakterfremd und damit ist es mir schwer gefallen, den weiteren Verlauf der Geschichte zu „akzeptieren“. 
Was mir ausgesprochen gut gefallen hat ist, dass es der Autorin gelingt Amys Behinderung zwar präsent zu halten, aber nicht in den Vordergrund zu spielen. Ihre Behinderung nimmt nicht den ganzen Raum ein, wirft nicht ihren Schatten über die Ereignisse, ja teilweise vergisst man sie sogar. Das gelingt, weil Matthew Amy eben so sieht! So normal! Und ist sie das nicht auch? Sind sie das nicht beiden? Auf ihre ganz eigene Art? 

Die Geschichte wird größtenteils durch Dialoge erzählt. Die Erzählform steht für die Bedeutung, die das Zwischenmenschliche in diesem Roman einnimmt. Eine Geschichte, in der größtenteils nicht viel passiert. Die wenige Wendungen, die es gibt, waren allerdings etwas zu extrem und haben sich für mich nicht in das Gesamtbild der Geschichte eingefügt.