Rezension

Was macht eine gute Mutter aus

Institut für gute Mütter -

Institut für gute Mütter
von Jessamine Chan

Bewertet mit 4 Sternen

Frida ist alleinerziehende Mutter, Baby Harriet fordert gerade ihre ganze Aufmerksamkeit gleichzeitig muss sie aber im Home Office funktionieren und die Trennung von Harriets Vater hat sie auch noch nicht wirklich verarbeitet. Als Harriet wiedermal nicht zu beruhigen ist verlässt sie das Haus und lässt ihre Tochter allein im Activity Center zurück. Ein furchtbarer Fehler, denn nachdem Nachbarn die Polizei wegen des schreienden Babys verständigt haben beginnt für Frida ein Alptraum. 

Nach der Kurzbeschreibung des Buches musste ich es unbedingt lesen, ich bin selbst Mutter, die Vorstellung eines meiner Kinder würde mir weggenommen ist der Horror, allein beim Gedanken daran schnürt sich mir die Kehle zusammen. Ich war sehr gespannt darauf, wie die Autorin das Thema angeht.

Jessamine Chan legt ihre Geschichte in der Gegenwart an, gibt dem Ganzen aber durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Form von lebensechten Puppen eine sehr futuristische Richtung, auch die Darstellung der eher diktatorischen Regierung unterstützt diese Abgrenzung. Ihre Beschreibung der Besserungsanstalt, in der den Müttern das richtige "Muttersein" anerzogen werden soll erinnert in vielen Punkten an ein Straflager, teilweise wird von den Figuren im Buch sogar der Vergleich zu einem Konzentrationslager gezogen. Der Leser kommt nicht umhin Parallelen zu Atwoods "Report der Magd", oder zu Orwells "1984" zu ziehen, obwohl die Geschichte hier nur bedingt mit diesen Werken zu vergleichen ist.

Der Stil der Autorin macht es dem Leser leicht in die Geschichte einzutauchen. Sie schafft es direkt zu Beginn mich emotional zu triggern. Obwohl Fridas Verhalten vollkommen unakzeptabel ist leidet der Leser fast körperlich mit. Ich schwankte ständig zwischen Fassungslosigkeit, Unglaube und Wut, nicht nur gegenüber der Behörden, den Betreuerinnen im Institut, Fridas Exmann, sondern eben auch gegenüber Frida selbst. Es war mir teils unverständlich wie diese Frau sich ihrem Schicksal so ergeben konnte, wie sie nicht mehr für ihr Kind kämpfen konnte. Die Autorin schiebt hier vieles auf den kulturellen Background ihrer Hauptfigur, die als Kind chinesischer Einwanderer mit der Distanziertheit und Kühle ihrer Mutter groß wird, Liebe und Gefühle eher von ihrer Großmutter erfährt. Diese Doktrin legt sie auch als Maßstab an, wenn es um die Eignung Fridas als Mutter geht. Es gilt das Credo, Schuld ist letzlich immer die Mutter.

Die Autorin ergeht sich sehr ausführlich in Beschreibungen über die einzelnen Trainigsschritte. Ihre schlechten Mütter werden vollkommen unrealistischen Prüfungen unterzogen, in denen Kleinkinder nach Minutentakt umarmt werden dürfen, oder in denen man in speziellem "mutterisch" mit den Kindern reden muss. Es gibt Vorgaben für die Anzahl der gesprochenen Worte, ebenso wie für deren bildungsrelevanten Inhalt. Hier wurde die Thematik aber manchmal etwas überreizt und es entstanden Längen. Als SciFi Fan war der Einsatz der lebensechten KI Puppen sehr spannend, der beschriebene Umgang mit ihnen aber auch sehr verstörend, gerade wenn den empfindungsfähigen Puppen absichtlich Schmerzen zugefühgt werden, damit die Mütter üben können sie schnellstmöglich zu beruhigen. Hier wirft die Autorin berechtigte ethische Fragen zum Thema künstliche Intelligenz auf. Auch das Thema Überwachung, das Eingreifen der Behörden in das persönliche Umfeld wird angesprochen. Die Rolle ihrer Mütter wird reduziert auf Heim und Herd, das KInd gilt als einziger Lebenszweck. Während die Mütter einem engmaschigen Regelwerk unterworfen werden, wird den Vätern ein fast unverschämtes Maß an Nachsicht gewährt. Helikoptermütter werden ebenso verteufelt, wie solche, die ihrem Kind zu viele Freiheiten zugestehen. Ich wäre wahrscheinlich, allein auf Grund der Tatsache das meine Kinder lange im elterlichen Bett schlafen durften, eine schlechte Mutter gewesen. 

Ich muss gestehen, dass ich mir etwas Anderes von dem Buch erwartet habe, ohne das ich genau benennen könnte was genau. Gerade beim sehr vorhersehbaren Ende habe ich das sehr deutlich empfunden. Die Geschichte hat mich durchaus gepackt, die Hauptfigur Frida blieb aber letztlich zu blass und ambivalent. Stellenweise war ich regelrecht genervt von ihr wenn sie sich ihren "schlechten Tag" wieder und wieder schön redet, oder bei ihren nicht endenwollenden Tiraden auf ihren Ex und dessen neuer Partnerin. Ich kann als Mutter so viele ihrer Empfindungen nachvollziehen, aber eben so viele auch wieder nicht. Die Autorin bietet so viele gute Ansätze, bringt sie aber nicht konsequent zu Ende. Es wird Kindesmissbrauch und Vernachlässigung ebenso angesprochen wie Rassismus, Homosexualität, Mobbing, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, alleinerziehend zu sein, Überforderung, Depressionen, Suizid, selbstverletzendes Verhalten, Sucht, der Umgang mit sozialen Medien und, und, und. Dazu kommt dann noch die totale Überwachung und der Einsatz der KI...

Alles wichtige Themen, die hier aber nicht unbedingt rund miteinander verwoben sind. Vielleicht hätte es hier tatsächlich geholfen die Geschichte in der Zukunft anzusiedeln, oder in einer fiktiven Gesellschaft. Nun könnte man sich fragen, warum ich dem Buch trotzdem 4 Sterne gebe und das kann ich ganz einfach erklären. Das Buch hallt nach, es beschäftigt mich auch nach der Lektüre, bringt mich zum nachdenken, zum grübeln, in gewisser Weise auch zum reflektiern. Es ist definitiv ein Buch das mir im Gedächntis bleibt, das ich empfehlen und mit anderen diskutieren werde und somit hat die Autorin alles richtig gemacht.