Rezension

Wenn das Gewissen über den Verstand siegt …

Untrennbar zerrissen -

Untrennbar zerrissen
von Georg Haderer

Bewertet mit 5 Sternen

Eine schonungslose Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, mit Problemen, Gedanken und Selbstvorwürfen.

Georg ist jetzt Mitte vierzig, verheiratet, Vater zweier Mädchen und Schriftsteller. Tagsüber schreibt er Geschichten und Romane und, wenn es seine Gesundheit gerade erlaubt, versorgt er nebenbei noch seine Kinder. Vor vielen Jahren, als er gerade 18 war, geschah ein Unglück, bei dem sein kleiner Bruder sein Leben verlor. Georg fühlt sich schuldig an seinem Tod, sein Schmerz ist übermächtig, und er meint, er hätte es verhindern können. Er leidet seither an schweren Depressionsanfällen mit Angststörungen und ist ständiger Gast beim Psychologen und in Nervenheilanstalten. Sein Verstand sagt ihm zwar, dass er im Hier und Heute lebt, sein Gewissen jedoch führt ihn jede Nacht ins Damals zurück, ins Jahr 1991. In seinen sehr realen nächtlichen Träumen lebt sein Bruder noch und Georg versucht alles, diesen Zustand aufrecht zu erhalten …

Georg Haderer, geb. 1973 in Kitzbühel (Tirol) ist ein österreichischer Autor von Kriminalromanen. Nach dem Besuch des Gymnasiums in St. Johann (Tirol) und einem abgebrochenen Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Schuhmacher. Nebenbei jobbte er auch als Redakteur, Barkeeper, Landschaftsgärtner und Skilehrer. Heute lebt Haderer in Wien und arbeitet neben dem Krimischreiben auch als Werbetexter. „Untrennbar zerrissen“ ist sein erster autofiktionaler Roman über seine psychische Gesundheit und seine Rolle als Vater.

Wie geht man damit um wenn man glaubt, man hätte den Tod des Bruders verhindern können? Wie lebt es sich im Heute, wenn das Gestern zu sehr belastet und ein Morgen nicht mehr denkbar ist? Der Autor versucht diese Fragen zu lösen, indem er sich jede Nacht in selbsthypnotischen Träumen auf eine Zeitreise begibt. Er lebt wieder im Elternhaus, wird wieder zum Sohn seines Vaters und zum großen Bruder, erlebt Nacht für Nacht die Gedanken und Gefühle seines 18jährigen Ichs und weiß, dass sein kleiner Bruder schon bald ums Leben kommen wird. Wie Sisyphos mit seinem Stein, so kämpft Georg mit seinen Gefühlen.

Dass auch ein Autor von Kriminalromanen ausgezeichnete Literatur schreiben kann, hat Georg Haderer hier bewiesen. Schonungslos setzt er sich mit sich selbst auseinander, kehrt sein Inneres nach außen und zieht so seine Leserschaft in den Bann. Er nimmt uns mit in seine Parallelwelt, in die 1990er nach Kitzbühel zu seinen Eltern und in die Gegenwart nach Wien, wo er mit seiner Familie lebt. Dadurch entstand für mich eine subtile Spannung, ein Sog, der mich immer tiefer in das Geschehen zog und hoffen ließ, dass Georg letztendlich in der Lage wäre, das Unglück noch abzuwenden.

Fazit: Eine Biografie, ein autofiktionaler Roman, bei dem Realität, Fiktion und Illusion verschwimmen – großartig gemacht, sehr empfehlenswert!