Rezension

„Wenn man zu viel will, verliert man alles“ (S.231)

Im Land des Regengottes - Gina Mayer

Im Land des Regengottes
von Gina Mayer

Bewertet mit 4 Sternen

Dienstmagd auf dem Bauernhof bei Frau Künstner? Nein, das kommt für die 16jährige Henrietta nicht infrage. Lehrerin will sie werden, doch dafür fehlt das Geld. Durch eine Lüge bringt sie ihre Mutter dazu, den Heiratsantrag eines ihr unbekannten Missionars aus Deutsch-Südwestafrika anzunehmen. Dann wird sie halt Negerkinder in der Missionsstation ihres Stiefvaters unterrichten, plant Henrietta. Doch unter der heißen Sonne Afrikas zerplatzen alle ihre hochfliegenden Träume. Das Leben in Bethanien ist noch härter als zu Hause in Elberfeld. Als dann ihre Mutter stirbt sieht sie nur einen Ausweg, die Flucht ins weit entfernte Kapland nach Wupperthal. Dort hofft sie auf Aufnahme bei einer befreundeten Missionarsfamilie. Zusammen mit Petrus, einem jungen Mann vom Stamme der Nama, macht sie sich zu Fuß auf den langen, beschwerlichen Weg. Durch Entbehrungen und Gefahren lernen die beiden, sich gegenseitig zu achten und zu vertrauen und – sie verlieben sich. Ein schwarzer Mann und eine weiße junge Frau in Afrika um 1900, ist das Henriettas ersehnte Zukunft?

Ausführliche Recherchen in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, Einblicke in detaillierte Berichte ehemaliger deutscher Missionarsfrauen und Reisetagebücher von Auswanderinnen waren für die deutsche Autorin Gina Mayer (geb. 1965 in Ellwangen) die Grundlage zu ihrem Roman „Im Land des Regengottes“. Sie berichtet darin über die Schwierigkeiten, die die deutschen Auswanderer in ihrer neuen Heimat erwartete, aber auch über das Leid, das die Eingeborenen in den Kolonien erleiden mussten, die von den Weißen nur ‚Hottentotten‘ oder ‚Kaffer‘ genannt wurden, denen man das Land und ihre Lebensgrundlage nahm und sie wie Vieh behandelte.

(Das Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel „Die Wildnis in mir“ als Jugendbuch, bevor es vom Aufbau-Verlag 2013 neu aufgelegt wurde).

Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und klar. Sie versteht es großartig, Menschen mit ihren Eigenheiten zu beschreiben und das Aufeinanderprallen der beiden unterschiedlichen Kulturen realistisch darzustellen. Gebannt begleitet man die junge Auswanderin und muss bestürzt miterleben, wie sich alle ihre Wünsche und Hoffnungen verflüchtigen und sie von Schuldgefühlen und Albträumen heimgesucht wird. Dennoch hält sie stur und unbeirrbar an ihren Plänen fest, auch wenn sie sich durch dumme, unüberlegte Handlungen des Öfteren in Lebensgefahr bringt. Ein weiterer interessanter, sehr überzeugend beschriebener Protagonist ist Petrus, ein junger schwarzer Arbeiter auf der Missionsstation. Er weiß seine Schläue und Intelligenz sehr gut zu seinem Vorteil vor den Weißen zu verbergen und hilft Henrietta bei ihrer Flucht, obwohl er dadurch seine Stellung verliert. Beeindruckend auch die anderen Charaktere mit ihren besonderen Eigenheiten, die vergrämte und schicksalsergebene Mutter, das leicht überspannte Fräulein Hülshoff und die bodenständige Missionarsfamilie Cordes, die ebenfalls alle in Afrika ein schweres Los erwartet. Wunderschöne Landschaftsbeschreibungen und eindrucksvolle Stimmungsbilder eines uns fremdartigen Landes runden das Geschehen gekonnt ab.

Fazit: Ein interessantes und lesenswertes Stück Kolonialgeschichte - und eine zarte Liebesromanze ganz ohne Kitsch und Pathos.