Rezension

Wir haben Sie entführt, Herr Jauch

Die sanfte Entführung des Potsdamer Strumpfträgers - Christian Ritter

Die sanfte Entführung des Potsdamer Strumpfträgers
von Christian Ritter

Bewertet mit 5 Sternen

Pro:
Der Titel ist genial - wer stutzt da nicht erstmal und macht sich hochintellektuelle Gedanken wie: "Häh?" Dazu kommen auf dem Cover noch ein Huhn und die erstaunlich gepflegten Beine (knieabwärts) eines Mannes. Entführung, Huhn, Strümpfe? Das kam mir ein bisschen vor wie eines dieser altmodischen Bilderrätsel, nur dass ich keine Ahnung hatte, was hier die Lösung sein könnte.

Dass hinter dem Ganzen ein aberwitziger Roman über zwei einsame, etwas verkrachte Existenzen und ihre (platonische) Liebe zu "Wer wird Millionär?" und Günther Jauch steht, darauf wäre ich nie gekommen. Ist es ein Krimi? Nicht wirklich, denn die Entführung ist so sanft, dass man darüber nur lächeln kann. Ist es ein hochanspruchsvolles Juwel der Gegenwartsliteratur? Hmmmm, jein. Ist es zum Schreien komisch und dabei auch irgendwie rührend und positiv? Absolut!

Zum Thema "Originalität" kann ich nur sagen: habt IHR schon einmal einen Roman darüber gelesen, wie Günther Jauch entführt wird? Eben. Ich auch nicht. Und es ist ja nicht nur das - es ist auch, wie hier das Leben in einer Kleinstadt beschrieben wird: das ist alles so überzogen und komisch, und dabei irgendwie auch wahr und echt... Der Autor zeigt mit Augenzwinkern und sanftem Lächeln die ganze Abstrusität hinter der stinknormalen Fassade. Ich LIEBE es.

Obwohl es kein Krimi ist, ist es überraschend spannend, denn ich wollte so, so verzweifelt, dass für Paul und Herr Müller (und seine Freundin Katja) endlich mal etwas richtig läuft... Ich wollte ein Happy-End für diese kauzigen Anti-Helden, weil sie trotz all ihrer Ecken und Kanten und Marotten und Schrulligkeiten einfach liebenswert sind. Besonders Paul hätte ich manchmal knuddeln können.

Und wie hier Herr Jauch beschrieben ist - kostbar. Ich habe KEINE Ahnung, ob sich Günther Jauch privat auch nur annähernd so benimmt wie in diesem Buch, aber ein kleiner Teil von mir möchte es gerne glauben, denn er ist so wunderbar sympathisch! Übrigens ist der nicht der einzige Promi, der hier einen kleinen Auftritt hat - auch Heidi Klum gibt sich die Ehre, und auch sie ist auf eine Art und Weise dargestellt, dass man sich vorstellen kann, dass sie so etwas wirklich sagt und tut.

Der Schreibstil ist... speziell. Denn Paul erzählt uns die Geschichte, und Paul hat eine ganz eigene Art zu denken. Seine Gedanken sind oft naiv, manchmal staubtrocken, gelegentlich pedantisch, aber insgesamt großartig. Habe ich schon gesagt, dass ich dieses Buch liebe? Ich habe so oft laut und herzlich gelacht, und am Schluss habe ich den Roman mit einem breiten, glücklichen Grinsen zugeklappt und bin beschwingten Schrittes zu dem Bücherregal gegangen, wo ich meine Lieblingsbücher aufbewahre. "Wer wird Millionär?" wird nie wieder dasselbe sein!

Kontra:
Kontra? Welches Kontra? Von mir aus hätte das Buch gerne doppelt so lange sein dürfen, aber mehr an Kontra fällt mir beim besten Willen nicht ein.

Zusammenfassung:
Es fällt mir schwer zu glauben, dass jemand dieses Buch NICHT mögen könnte, aber in aller Fairness muss ich eingestehen, dass der Humor vielleicht nicht jedermanns Sache ist und man deswegen mal reinlesen sollte. Aber mal ehrlich - ich lese normal überhaupt keine Bücher, die unter Humor stehen, und Bücher über spießige Kleinstädte und Bauern, die ernsthaft darüber nachdenken, sich für "Bauer sucht Frau" anzumelden, lese ich normal auch nicht, und ich liebe, liebe, liebe dieses Buch. Es ist witzig und goldig und aufbauend und stimmungserhellend und einfach wunderbar.