Rezension

Zeitversetztes Gedankenspiel

Das andere Tal -

Das andere Tal
von Scott Alexander Howard

Bewertet mit 4 Sternen

Das Cover dieses Debütromans des promovierten kanadischen Philosophen zeigt das Gemälde der französischen Künstlerin Magali Cazo und bietet einen eindrucksvollen Einstieg und Einblick auf den Ort der Handlung - ein Tal.
Es wirkt auf dem weißen Buch des Diogenes-Verlages wie ein Blickfang, der Romantitel weist darauf, dass es nicht nur das eine Tal gibt.
Auf 454 Seiten und in zwei Teilen beschreibt die Ich-Erzählerin ausgehend ihr Leben als 16-jährige und später als 20 Jahre ältere Erwachsene.
Dabei ist das Tal eines von mehreren gleichen west-östlich benachbarten - nur um jeweils 20 Jahre in die Vergangenheit bzw. Zukunft versetzt.
Diese Täler sind jeweils hermetisch voneinander abgeschnitten und können nur im extremen Einzelfall und bei Trauer nach strengen Regeln des herrschenden Conseils betreten bzw. besucht werden. Dabei darf nur ein Blick auf die Menschen und Geschehnisse in der anderen Zeit geworfen und keinerlei Eingriff/Veränderung erfolgen.

Dieser Roman lässt sich wie ein Jugendroman übers Erwachsenwerden und die Reifung Odiles an und geht später nach einem abrupten Bruch in ihrem Leben in die 20 Jahre spätere Erwachsenenzeit als Angehörige und Behüterin des ganzen Systems über. "Das andere Tal" ist eine etwas andere Science-Fiction- Gestaltung, eher eine gedankliche Zeitreise über die Gedanken und Gefährdungen, in Lebensläufe Anderer eingreifen zu können und auch eigenes Leben zu überdenken.

Dabei erscheint jedes Tal in diesem übergreifenden System an sich sehr reguliert und zentralisiert regiert, dies wird vor allem in Ansätzen im ersten und besonders im zweiten Teil spürbar. Diese Tal - Gesellschaft erscheint etwas aus der Zeit gehoben, was die Entwicklung von Technik und Medien betrifft, der Autor zeichnet sie sehr eindrücklich als ein in sich gewachsenes auch verkrustetes Gebilde.

Odile ist wie eine Einzelkämpferin, die sich - vaterlos aufgewachsen und mit relativer Distanz zur Mutter - nach und nach entwickelt und in einem stark männlich orientierten Gefüge behaupten muss.

Ich habe diesen Roman mit einiger Anstrengung aber auch Gedankenfreude gelesen, in den vielen kurzen Episoden und Kapiteln ist die direkte Rede fließend ohne anführungsstrichhafte Hervorhebung eingefasst, die Sprache mitunter sehr bildhaft gestaltet. Das tagtägliche Leben wird mir dann gegen Mitte des Romans zu ausführlich und detailliert beschrieben, so dass ich einige Längen spüre. Ab dem dritten Viertel etwa nimmt die Handlung wieder an Fahrt auf und endet offen.

Der Ansatz, die verschiedenen Täler mit einer Zeitreise zu verbinden, ist interessant, die Handlung sehr auf die Erlebnisse Odiles zugeschnitten.
Die triste Traurigkeit dieses Systems "Tal" erhält letztlich mit dem offenen Finale einen Lichtpunkt.

Insgesamt gebe ich gern eine Leseempfehlung.