Rezension

Zu viel erwartet

Trost -

Trost
von Thea Dorn

Bewertet mit 0.5 Sternen

Frau Dorn kann mehr, vor allem anders!

Die Lektüre von Thea Dorns Werk 'Briefe an Max', erschienen 2021, lässt mich etwas ratlos zurück. Ich kaufte das Buch aufgrund einer Rezension in der Zeitung 'Richtig gute Literatur ist immer auch Philosophie mit erzählerischen Mitteln', schreibt Julie Zeh. Ein 'ergreifender Briefroman' heißt es. Ich kenne die Autorin aus dem Fernsehen, z.B.dem literarischen Quartett, als eine sehr belesene, gebildete Person. Ergriffen bin ich leider nicht. Für 'richtig gute Literatur' halte ich das Werk auch nicht. Dorn kann mehr.

Die Protagonistin Johanna (Ende 40), Zeitungsjournalistin, ist nach dem Tod der vierundachtzig-jährigen Mutter Etta wütend und verzweifelt. Etta hatte sich auf einer Italienreise mit dem Coronavirus infiziert und Johanna durfte ihre Mutter aufgrund der pandemischen Vorsorgemaßnahmen noch nicht einmal auf dem Sterbebett besuchen. Wie soll es nun mit Mutters Theateragentur weitergehen? Was geschieht mit ihrer Wohnung? Johanna macht ihren Gefühlen in Briefen an ihren alten Philosophielehrer Max Luft, der maximal mit einem Satz oder einer Frage auf einer Postkarte antwortet, was Johanna weitergehend provoziert bzw. in Rage bringt, was zu langen verbalen,verschriftlichten Ergüssen führt. Max lebt als Eremit auf der griechischen Insel Patmos.

Auf dem rückseitigen Einband lesen wir, dass es um eine Frau, Johanna, ginge, die sich 'den existentiellen Fragen einer aus den Fugen geratenen Zeit stelle'. Wie machen wir Frieden mit unserer Endlichkeit, was tun mit der Angst vor dem Tod? Wie finden wir zurück zu Freiheit, Lebensfreude und einem glücklichen Leben im Hier und Jetzt?

Wirkliche Antworten hatte ich nicht erwartet. Es handelt sich schließlich um keinen Ratgeber. Der Roman wirkt auf mich 'wirr'.

Ich möchte mit dem beginnen, was mir gefallen hat: Gut formuliert und aktueller denn je finde ich die Frage 'Wie um alles in der Welt soll es der Mensch auch schaffen, selbst in Ordnung zu bleiben, wenn um ihn herum nichts in Ordnung ist?'(61). Angesprochen haben mich die teilweise schönen, treffenden Metaphern, wenn z.B. 'Krankenhäuser in Krisenzeiten die Zugbrücke hochziehen' (keine Patientenbesuche erlauben, 18). Treffend ist die Sichtweise, dass man nur etwas beurteilen kann, das man am eigenen Leib erlebt hat 'Ich will von dem altklugen Scheiß, den ich fabriziert habe, als ich noch vollkommen ahnungslos gewesen bin, was Verzweiflung ist, nichts mehr wissen!'(18). Gut gefällt mir die Frage, die auch den Leser zum Nachdenken anregt und die wir uns des öfteren stellen: 'Würde ich nach allem, was ich seither erlebt habe, immer noch so reagieren?'(97). Lebenserfahrung macht uns reifer und auch weiser. Würden wir Entscheidungen noch einmal genauso treffen mit mehr Erfahrung? Allerdings ist die Frage auch müßig, da jeder Mensch in einem bestimmten Moment nur so handeln kann, wie er imstande ist zu handeln. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Die Vergangenheit nur rückblickend in der Gegenwart verstehen. Gut gefällt mir der Sinnspruch 'erinnertes Glück ist ohnehin robuster als gelebtes Glück'(122).

Es geht um dasThema Corona, Coronatote, Coronamaßnahmen, über das in Jahr 3 des Coronavirus auch in Romanen genug geschrieben worden ist. Ich möchte nicht behaupten, dass das Thema inzwischen obsolet ist, aber wir sind mit Sicherheit gesättigt, Wir kennen die Fakten zur Genüge: 'Diese Toten, die sich in Norditalien in den Krankenhauskellern stapeln, die sind kein Sensationsgesums. Die gibt es wirklich! (11). Das war ab März 2020. Vor zwei Jahren.

Es gibt zwei Dinge, die mich an diesem Roman besonders stören. Das ist einmal die sich durch den ganzen Roman ziehende Vermischung von Sprachregistern. In nahezu jedem Satz mischt Dorn flapsige Umgangs- bis hin zu Fäkalsprache mit einem gehobenen Stil 'Aufforderung zur Selbsthinrichtung durch seinen ehemaligen Zögling, das Arschloch Nero' (140) 'War Stoizismus je etwas anderes als die hohe Kunst, sich objektive Probleme subjektiv am Arsch vorbeigehen zu lassen' (119) 'Was dem Rumvögler sein Tripper, ist der Kettenraucherin ihr COPD Blue' (13), Standard- bzw. auch Kunstsprache (Wortschöpfungen) z.B. 'Gespensterflügel schlagen' (119). Sprache ist ein rhetorisches Mittel, kann Verzweiflung, Wut und Co plastisch ausdrücken. However, das wäre jedenfalls nicht der Stil z.B. eines Philosophen David Prechts. Die Sprachmischung an sich irritiert. Dorn zitiert viele Autoren und deren Worte, Gedichte usw. Als sie Grimms Wörterbuch zu Rate zieht, bezeichnet sie die Herausgeber als 'Märchenonkel'. Als Linguistin empfinde ich das bisweilen als 'unverschämt', waren die Grimms doch anerkannte Sprachwissenschaftler.

Meine Erwartungen als Leser waren wohl aus sprachlicher/philosophischer Sicht zu groß an dieses Buch. Es wird m.E. überall nur an der Oberfläche gekratzt. Zu wenig tiefgründig, scheinbar zu sehr lesererheischend. Auf die o.g. Fragen lassen sich keine wirklichen Antworten aus dem Geschriebenen herauskristallisieren. Auf S. 168 heißt es abschließend 'Trost heißt, Hals über Kopf in den abenteuerlichen Glauben zu springen, alles werde gut, obwohl man weiß, dass es jederzeit schlimmer werden kann. Trost ist die wundersame Fähigkeit, alles, was man ist und was man hat, aus vollem Herzen zu lieben-und es freimütig ziehen zu lassen, wenn es davonziehen will': Das ist doch nicht neu, Leute! Das ist grenzenloser Optimismus bis hin zur rosaroten Brille. Mit dem 'freimütig ziehen lassen', das ist nicht immer so einfach. Wohl wahr. Das Thema 'Loslassen', um glücklich zu werden, ackert die Literatur und Psychologie doch auch schon seit Jahrzehnten durch. Wie geht es jetzt weiter, mit Johanna? Scheinbar ist sie auf nach Capri.

Ich frage mich als Leser nach jeder Lektüre, was nehme ich mit, und seien es nur ein paar schöne Stunden gewesen. Ich möchte Dorn kein Unrecht tun, aber in diesem Fall leider nichts. Dementsprechend überzogen finde ich auch den Buchpreis von € 16,90 für solche 169 Seitchen.