Rezension

Zum Kringeln

Tantenfieber
von Volker König

Bewertet mit 5 Sternen

== Buchrückentext: ==

Walter Semmler ist extrem kurzsichtig, extrem vorsichtig, Mitte vierzig, Bankangestellter und Jungfrau. Für ihn ist und war alles und muss auch alles in Ordnung sein. Ohne den Schutz seiner Mutter fühlt er sich daher durch den unerwarteten Besuch der seltsamen, schönen und jungen Tante Goutiette bedroht. Semmler will und muss sie loswerden. Er ahnt nicht, was ihn mit dieser Frau verbindet.

 

== Leseprobe: ==

Kapitel 1:

>> Sechs Beine sind gut. Mit sechs Beinen kann man allerhand anfangen, vor allem dann, wenn an jedem ihrer Enden zwei nadelspitze Krallen sitzen, wenn keines von ihnen eigene Wege gehen will und man es sich in den Kopf gesetzt hat, eine Steilwand zu erklimmen. Der Käfer hatte sich genau das vorgenommen.

Stur kroch er an ihr höher, einem matten Schimmer entgegen. Dieser Schimmer und diese Wand waren zurzeit das Einzige, was ihn überhaupt interessierte. Nicht der aufkommende Wind, nicht der sich verdunkelnde Himmel, nur der Schimmer. Dort oben war bestimmt etwas ganz Tolles.

Er kantete sich durch einen lächerlichen Zaun. Zumindest sah das, was sein Gehirn aus Tausenden kleiner Bildchen zusammensetzte wie einer aus. Zäune sind egal, Schimmer ist toll. So einfach ist das bei Käfern.

Das Schimmern war jetzt unglaublich nah. Aber da war noch etwas Anderes. Sein rechter Vorderfuß rutschte darauf herum. Das war verteufelt glatt. So weit er langen konnte war es so glatt, dass es jetzt einen Eintrag im Verzeichnis seines Oberschlundganglion erhielt. Und zwar in der Rubrik "Wahrscheinlich niemals zu überwinden"! <<

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== Das Cover: ==

Ich fragte mich unverzüglich: Ist es das Kleinkarierte, das den Walter ausmacht, oder das Schachbrettmuster des gefliesten Bodens des Standesamtes oder ein Teil, welches aus einer Ordnung heraus aus dem ihm zugedachten Platze fällt und somit Unordnung in das symmetrische Muster bringt??

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== Leseeindrücke: ==

In diesem Buch lernen wir Walter Semmler kennen. Überkorrekt, kleinkariert (passend zum Buchcover), Mitte 40, jungmännlich und ein bißchen verpeilt und Bankangestellter. In seinem überaus durchstrukturierten und durchorganisierten Leben kreuzt plötzlich und unerwartet Tante Goutiette auf! Eine Halbtante eigentlich, die Halbschwester seiner Mutter, von der er zum ersten Male hört. Sie scheint, wunderschön zu sein, lasziv, jung und hilfsbedürftig. Leider aber - ganz im Gegenteil zu Walter - unordentlich, unorganisiert und unstrukturiert. Die Tante bittet Walter um einen Gefallen: Er solle ihr für geraume Zeit Unterschlupf gewähren, da sie untertauchen müsse. Walter gewährt zähneknirschend (auch wenn das seinen Rhythmus durcheinander bringt) diesen Unterschlupf. Seine Mutter Agnes soll davon um Himmels Willen nichts erfahren.

Wir lernen diese im übrigen auch kennen und erfahren nun woher Walter seinen Hau und Ödipuskomplex hat. Beim Kaffeekränzchen jammert Mutter Agnes ihren Freundinnen vor, wie sehr sich Walter verändert habe. Sofort keimt ein böser Verdacht auf: Sollte da ein anderes Weibsbild dahinter stecken? Dem muss man auf dem Grund gehen.

Ja und wer könnte dabei behilflicher sein, als Walters Nachbarin Frau Leibisch? Frau Leibisch sieht alles, hört alles, weiß alles. Walter unterdessen macht sich auf dem Weg zum Standesamt, um herauszufinden, ob Tantchen wirklich seine Halbtante ist, was - wenn es sich bewahrheiten würde - fast schon fatal wäre, denn Walter meint sich entsinnen zu können, dass er im Rausche eines Kuchenback-Rums mit seiner Halbtante .... hüstel naja eben ... sich mit ihr also eng verbunden gefühlt hat.

Nachdem Walter beim Standesamt keinen Erfolg hatte (nicht bzg. Tante Goutiette, sondern bzgl. der Öffnungszeiten, kehrt er heim und dort erwartet ihm eine Party der besonderen Art: Tante Gouttiete hat ihm völlig fremde Menschen eingeladen und feiert. I

Jedenfalls mutiert Walter immer mehr zwar noch nicht zum Anti-Spießer, aber immerhin fast zum Normale: Futter Fast-Food, bewegt sich in Stadtgegenden, die er zuvor in seiner Routine niemales besucht hätte und überlegt sogar sich neue Kleidung  zuzulegen!!! Ja und dann lernt er noch die jungfräuliche Bibliothekarin Marianne Finke kennen.....

Der Stil - wie immer - Volker-like. [Ich hatte ja bereits "Die Farbe des Kraken" von Volker König lesen dürfen, hier berichtet und war total gefangen genommen in der Handlung]. Ich mutiere zum wahren Fan seiner Bücher. Lustig geschrieben, beinahe jeder Satz zum Schmunzeln. Jede Szene in diesem Buch kann ich mir bildlich vorstellen: Vom Falterfang, bishin zum knöchelumfassenden Liebhaber. Die Kapitel sind genau richtig lang, die Novelle überhaupt, so kann man sie in einem Rutsch durchlesen. Die Handlung genial, auf die Idee ein Mutersöhnchen zum Liebhaber der eigenen Tante (ähm. Halbtante) werden zu lassen, darauf muss man erst einmal kommen, wobei ich beim Lesen fast meinen Kopf verwettet habe, dass sie gar nicht Walters Halbtante ist, aber ob sie es ist, oder ob nicht und wer sie eigentlich ist, das verrate ich euch hier natürlich nicht , das sollt ihr bitteschön selbst lesen!!

Unterteilt ist dieses 164-seitige Buch im übrigen in 27 handlichen Kapiteln.

 

by esposa1969