Rezension

Beeindruckender griechischer Generationenroman

Bittersüße Mandeln -

Bittersüße Mandeln
von Hanna von Feilitzsch

Bewertet mit 5 Sternen

Stella befindet sich im Krankenhaus in Athen, ihre Mutter hatte einen Schlaganfall. Sie versucht einen Krankentransport zu organisieren, zu sehr misstraut sie dem griechischen Gesundheitssystem und weiß um die gute medizinische Versorgung in ihrer Heimat Deutschland. Während des Wartens auf den Transport lernt sie ihren Onkel Oddy besser kennen und er beginnt ihr die griechische Geschichte ihrer Familie zu erzählen. Mittelpunkt der Schilderungen ist Stellas Großmutter Anna, die sich während der Zeit des Bürgerkriegs in den 1940er Jahren auf die Flucht begeben musste, es danach schaffte, alleine ihre fünf Kinder groß zu ziehen und nebenbei eine erfolgreiche Gemüseanbaufirma zu etablieren. Als ihr Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurück kommt, ändert sich ihr Leben schlagartig - Anna wird daran erinnert, dass Manolis, ihr Mann, nun wieder das Sagen hat. Trotzdem er sie und die gesamte Familie in den Abgrund zu stoßen droht, bleibt Anna die starke Säule ihrer Familie...

Hanna von Feilitzsch nimmt uns in "Bittersüße Mandeln" mit in die griechische Zeitgeschichte. Die Hauptprotagonistin Anna bewältigt dabei die allergrössten Schwierigkeiten - sei es die Flucht als Schwangere mit vier kleinen Kindern, die drohende Armut, die sie trotz der Tatsache, dass sie weder lesen noch schreiben kann, erfinderisch und ehrgeizig werden lässt und allen voran die patriarchale Gesellschaft, derer sie sich beugen muss, als ihr Ehemann wider erwarten aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt. Oft blieb mir der Atem weg, wie Manolis ihr Schaffen ignoriert, negiert und schließlich auch zerstört, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie es Anna wohl damit gehen mag. Der Mann hat das Sagen im Haus und kann tun und lassen, was er für richtig hält. Dass er dabei mit starken Depressionen zu kämpfen hat, ausgelöst durch den Krieg und das verräterische Hintergehen eines Verwandten, wird immer mehr klar und auch, dass die Krankheit in dem behandelten Zeitraum (1950er, 1960er) schlicht nicht als solche erkannt wurde. Anna schlägt sich tapfer und fügt sich, immer in der Überzeugung, dass es für ihre Familie das Beste sei. Dieses Sich-Ergeben in den vorherrschenden Strukturen schmerzt beim Lesen sehr, vor allem, weil Anna kaum Anzeichen erkennen lässt, dass sie sich dem widersetzen möchte, zu sehr ist sie in dem Gewohnten verhaftet. Im Laufe der Zeit allerdings erkämpft sie sich durch kleine Schritte eine gewisse Art von Freiheit und schließlich darf sie im Alter einen unerwarteten zweiten Frühling erleben.

Der Erzählstil der Autorin ist recht nüchtern aber gleichzeitig eingängig, sodass ich mich sehr gut in die schwierige Zeit, die geprägt von politischen Kämpfen, Armut und den patriarchalen Strukturen war, hineinversetzen konnte. Es wird dadurch eine ganz besondere, realistische Atmosphäre geschaffen, die die Schlichtheit des Alltags und die Komplexität der politischen Situation anschaulich wiedergibt. Auch die verkrusteten Strukturen des Familienverbands werden in all ihren negativen, aber auch positiven (Stichwort: Zusammenhalt) Facetten beleuchtet. Fällt es mir grundsätzlich schwer, mir viele verschiedene Charaktere zu merken, machte es mir die Autorin in "Bittersüße Mandeln" durch die eindrücklichen Schilderungen der Charaktere ziemlich leicht, mir diese zu merken. Besonders hervorheben möchte ich, dass man nie ahnt, welche Wendungen die Geschichte nehmen wird und so kommt es immer wieder zu überraschenden Ereignissen, die die Handlung in eine unerwartete Richtung laufen lassen. Auch weiß man lange Zeit nicht, welche der Töchter Annas nun Stellas Mutter ist. Die komplexen politischen Vorkommnisse werden so geschickt und einleuchtend in die Geschichte eingebaut, dass man getrost darauf verzichten kann, bei Wikipedia nachzuschlagen. Somit liest man nicht nur einen spannenden und vielschichtigen Generationenroman, sondern lernt auch viel über die griechische Zeit- und Kulturgeschichte, ohne belehrt zu werden.

Mein Fazit: "Bittersüße Mandeln" ist ein komplexer aber eingängiger Generationenroman über eine griechische Familie, der den Weg einer starken Frau und ihrer Familie von den 1940ern bis in die 70er Jahre nachzeichnet. Man lernt nicht nur viel über griechische Zeit- und Kulturgeschichte, sondern trifft auch wunderbare, vielschichtige Charaktere, die im Laufe der Zeit unterschiedliche und überraschende Entwicklungen durchmachen. Die Geschichte der Familie ist noch nicht aus erzählt und so bleibt zu hoffen, dass uns bald eine Fortsetzung dieses tollen Romans beglücken wird!