Rezension

Szenen einer turbulenten Beziehung - Henry VIII. und Anne Boleyn

Jagd auf den Falken -

Jagd auf den Falken
von John Guy

Bewertet mit 4 Sternen

Wer glaubt, alles über König Henry VIII. (1491 - 1547) und Anne Boleyn (1501/07 - 1536) zu wissen, wird mit diesem Buch eines Besseren belehrt.

 

Julia Fox & John Guy haben jahrelang in Archiven geforscht und hier eine sehr ausführliche Doppelbiographie verfasst. Während Anne Boleyn Leben 1536 endet, geht Henrys Leben, wie man weiß, nach Annes Hinrichtung weiter, denn er heiratet nur wenige Tage später ihre ehemalige Hofdame Jane Seymour.

 

Das Buch beginnt quasi von hinten mit Annes Hinrichtung am 19. Mai 1936. Nach diesem Prolog werden in 29 Kapiteln Annes und Henrys Leben, zunächst getrennt und dann gemeinsam betrachtet. 23 Kapitel widmen sich Annes Herkunft, ihrem Aufstieg und dem Kampf um die Annullierung Henrys Ehe mit Katharina. Danach geht es für Anne rasant abwärts bis zur Anklage, dem Prozess, dessen Ausgang schon zu Beginn feststand und zu ihrer Hinrichtung).

 

Zwar werden Passagen aus den Prozessakten zitiert, aus denen hervorgeht, dass die Delikte, die Anne vorgeworfen werden, allesamt erstunken und erlogen sind, was den meisten, auch bewusst war. Doch können diese Zitate nicht an die Menge jener Auszüge aus dem anderen Schriftverkehr heranreichen.

 

Dieses Ungleichgewicht stört mich ein bisschen. Denn die Aufzählung der Anzahl der goldenen Teller und sonstiger Geschenke wie Vorhänge, gestickte Krägen etc. die zwischen Anne und Henry sowie den Günstlingen ausgetauscht werden, ist zwar das Zeichen des Wohlwollens (oder doch vielleicht Bestechung?) anzusehen, ist mir persönlich viel zu ausführlich geraten, zumal sie sich wiederholen.

 

Viel spannender wären hier Details um Henrys Gedankengut zu lesen, warum aus seiner Liebe, die ihn sechs Jahre auf den ersten Beischlaf warten hat lassen, diese perfide Rache geworden ist. Ist er doch nur ein verzogener Bengel, der nachdem er erreicht hat, was er wollte, nicht mehr zufrieden ist? Oder ist ihm Annes Einfluss an den Regierungsgeschäften als Bedrohung erschienen? Die Erklärung, dass er sich von ihr verraten gefühlt hat, weil sie keinen Sohn und Erben zur Welt gebracht hat, ist natürlich der patriarachalischen Weltanschauung der Primogenitur geschuldet. Das ist mir leider zu kurz gekommen.

 

„Mit den turbulenten Szenen ihres Liebeswerben und ihrer Ehe haben Henry und Anne fast ein Jahrzehnt lang alle in Atem gehalten. Sie haben England für immer verändert- Aber es war nicht Anne, die Henry verändert hat. Er veränderte sich selbst.“

 

Was mich auch zusehends genervt hat, ist die uneinheitliche Darstellung der Währung (Pfund, Shilling, Pence, Sonnenkronen oder Mark mit oder ohne Kurzbezeichnung etc.) und deren Umrechnung auf heutige Dimensionen in Euro. Dazu gibt es im Anhang Erklärungen, im laufenden Text stören sie den Lesefluss.

 

Sehr interessant hingegen sind die Auftritte zahlreicher anderer Höflinge wie die der Intriganten Wolsey und Cromwell, die beide nach einem steilen Aufstieg tief fallen werden.

 

Neben der reichhaltigen inhaltlichen Darstellung bietet das Buch auch eine visuelle Reise in die Welt der Tudors. Die Abbildungen von Gemälden wie jene von Hans Holbein, Orten und historischen Dokumenten, darunter ein Liebesbrief Heinrichs an Anne, in dem er ihre Initialen in ein Herz einschließt.

 

In einem rund 200 Seiten langem Anhang sind Fußnoten, Literaturhinweise, Quellenangaben, ein ausführliches Personenverzeichnis sowie diverse Stammbäume, der beteiligten Familien angeführt.

 

Gut gefällt mir der Titel „Jagd auf den Falken“, denn zum einen ist er Annes Wappentier und zum anderen ist er das Symbol für den König, denn nach Annes Tod, ist die Jagd auf König und Krone neu eröffnet, auch wenn sich Henry bereits für eine neue Gemahlin entschieden hat. Jane Seymour werden noch drei weitere folgen. Wie heißt es im englischen Abzählreim so treffend?

 

“Divorced, Beheaded, Died,
Divorced, Beheaded, Survived.”

 

(„Geschieden (Katharina von Aragon), geköpft (Anne Boleyn), gestorben (Jane Seymour),
geschieden (Anna von Kleve), geköpft (Catherine Howard), überlebte (Catherine Parr).“)

 

Anne Boleyn wird in dieser Biografie nicht ausschließlich als tragische Figur dargestellt, die von ihrem Ehemann verunglimpft und hingerichtet wurde, sondern als kluge und entschlossene Frau, die sich mit der Rolle einer Mätresse nicht zufrieden geben wollte, sondern als gleichberechtigte Partnerin an der Seite ihres Mannes und König herrschen wollte. Ihre Rechnung ist leider nicht aufgegangen.

 

Ausführlich wird über den Kampf um die Auflösung Henrys Ehe mit Katharina von Aragon mit der Katholischen Kirche und dem Papst berichtet, der letztlich im Bruch und der Gründung der Anglikanischen Kirche endet, deren Oberhaupt britische Monarchen heute noch sind. Sehr schön ist hier dargestellt, wie die Bibel für allerlei unterschiedliche Interpretationen herhalten muss, je nach dem wie es dem Herrscher in den Kram passt.

 

Nicht vergessen möchte ich die Rolle der Übersetzer Norbert Juraschitz und Karin Schuler, denen es gelungen ist, das Flair dieses Zeitalters in die Übersetzung zu übertragen.

 

Fazit:

 

Dieses Buch bietet detaillierte historische Erkenntnisse über Henry VIII., seine zweite Ehefrau Anne Boleyn und die Abspaltung der englischen Kirche von Rom. Allerdings ist bei dessen Lektüre auf Grund der Fülle an detaillierten Informationen viel Konzentration erforderlich. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.