Rezension

Die Sehenden

Diviners – Aller Anfang ist böse -

Diviners – Aller Anfang ist böse
von Libba Bray

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wenn ich an New York und Weltkrieg denke, dann schießt mir sofort das Foto eines Marinesoldaten in den Kopf, der auf dem Times Square spontan eine Frau küsst. Ist ja nur ein kleines nebensächliches Detail, dass es dabei um den Jubel zum Ende des 2. Weltkrieges geht. Libby Bray siedelt ihre rätselhaften „Diviners“ im New York der 1920er Jahr an. Der 1. Weltkrieg ist bereits einige Jahre her, doch immer noch präsent, vor allem bei der 17jährigen Evie, die fast jede Nacht vom Tod ihres Bruders auf dem europäischen Schlachtfeld träumt. Tagsüber versucht sie die schweren Gedanken mit viel Lebensfreude und Amüsement beiseite zu schieben. Für ihren kleinen Heimatort in Ohio schlägt sie aber deutlich über die Strenge, besonders als sie angetrunken den reichen Verlobten einer Freundin outet, der ein Zimmermädchen geschwängert hat. Evies Partytrick, aus persönlichen Gegenständen von Menschen Informationen lesen zu können, geht nach hinten los und die Eltern schicken ihre Tochter zum Onkel nach New York. In der Metropole tobt das Leben, besonders des Nachts und Evie ist nicht wirklich traurig über den Ortswechsel. Ihr Onkel Will ist Fachmann für alles Okkulte und betreibt ein eigenes Museum. Todlangweilig für ein junges Mädchen, doch als die Polizei Will um Rat bei einem obskuren Mordfall bittet, eröffnet sich plötzlich eine neue bedrohliche Welt.

Libby Bray fängt das Flair der Goldenen Zwanziger Jahre in New York bestens ein. Dabei beschränkt sie sich nicht allein auf das ausschweifende Nachtleben, sondern zeigt auch die Schattenseiten der Metropole auf. Ihre vorwiegend jungen Figuren tragen bereits alle ein jeweils stattliches Päckchen mit sich herum und überspielen dies oft durch viel Witz und Schlagfertigkeit sowie eine gewisse Abgeklärtheit. Doch unter der Oberfläche brodelt es: Merkwürdige Träume, Vorahnungen und magisch anmutende Fähigkeiten kristallisieren sich im Verlauf der düsteren Handlung allmählich heraus, sind aber bis zum Schluss für den Leser nicht so recht greifbar. In wechselnden Perspektiven lernen wir eine Reihe von Charakteren kennen, die erst im Verlauf der Handlung zueinanderfinden. Es ist eine überraschend diverse Runde und die Figuren selbst sind gut ausgearbeitet, haben neben positiven, sympathischen Eigenschaften auch allerlei nervtötende Angewohnheiten. Mit der Hauptfigur Evie, ein verwöhntes, ichbezogenes weißes Mädchen aus der mittleren Oberschicht musste ich zum Beispiel erst warm werden. Memphis aus Harlem ist mir hingegen fast sofort sympathisch. Theta und Henry sind sehr geheimnisvoll und der Draufgänger Sam macht mich mit seiner verletzlichen Seite schon auch neugierig. Und die etwas blasse und brave Mabel sowie den stocksteifen Jericho nicht zu vergessen. Ihnen allen steht (wahrscheinlich) gemeinsam noch eine wirklich große Aufgabe bevor, soviel habe ich mir aus den 650 Seiten zusammengereimt. Nun warte ich ungeduldig auf ein Wiedersehen im Folgeband.