Rezension

Schön und melancholisch

Wir haben Raketen geangelt - Karen Köhler

Wir haben Raketen geangelt
von Karen Köhler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt:

Es gibt diesen Moment, in dem das eigene Universum zerbricht und weit und breit kein neues in Sicht ist: Eine junge Frau sitzt mittellos und nahezu dehydriert vor einer Tankstelle im Death Valley. Als plötzlich ein Indianer vor ihr steht und ihr das Leben retten will, glaubt sie zu phantasieren. Doch das Universum setzt sich nach seinen eigenen Regeln wieder zusammen. Schon bald teilen sich die beiden einen Doppelwhopper, gehen gemeinsam ins Casino und stranden schließlich in einem dieser schäbigen Motels, die es eigentlich nur im Film gibt. Karen Köhlers Erzählungen sind getragen von einer fröhlichen Melancholie und einer dramatischen Leichtigkeit. Ihre Figuren sind wahre Meisterinnen im Überleben.

Meine Meinung:

Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Leserunde hier bei WLD gewonnen, vielen Dank dafür!

Zunächst fiel mir das Cover auf, es ist sehr schön und aufwändig gestaltet. Das, was ich erst für eine Banderole hielt, gehört mit zum Cover, man kann es also aufklappen, das hab ich so noch nie gesehen! Als ich das Buch aufschlug, sah ich zunächst die Widmung: "Meinem Rudel", das hat mir schon mal einen ersten Schmunzler entlockt.

Dann beginnt das erste Kapitel so: "Auf dieser Seite wird die Erzählung "Il Commandante" beginnen. Ich werde sie im Juli 2014 beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt vorlesen, deshalb muß sie bis dahin unveröffentlicht bleiben." Und es folgen tatsächlich 11 komplett leere Seiten! Da mußte ich dann mal herzhaft lachen!! Trifft voll mein Humorzentrum! :-)

Wie sich dann herausstellte, war es nicht als Gag gedacht, sondern ich hatte ein Leseexemplar erwischt, worin tatsächlich aus o.g. Gründen die erste Geschichte noch nicht gedruckt werden durfte. Aber hier kann man diese Story nachlesen: http://www.karenkoehler.de/autorin/il-comandante/

Ich bin von den Erzählungen sehr begeistert, sie sind genau mein Ding! Wie ich diesen Schreibstil liebe und bewundere! Knackig, jung, frisch, direkt und trotzdem so atmosphärisch, wirklich klasse!

Bei der zweiten Story „Cowboy und Indianer“ finde ich die Rückblenden auf die Vergangenheit sehr gelungen, die Geschichte insgesamt berührend. Tja, die erwähnten Songs wie "Heroes" und "Treppe zum Himmel" von Led Zeppelin wecken eigene Erinnerungen. Und dann rätselte ich, welcher Song denn noch der war mit den Pferden "ein weißes, ein rotes, ein schwarzes und ein grünes"  (S. 62), irgendwo im Hinterstübchen schwirrte eine schwache Erinnerung rum, bis ich dann drauf kam und dann diesen Ohrwurm im Kopf hatte:

"The leading horse is White...
The second horse is Red...
The third one is Black...
The last one is Green.."

(Aphrodite's Child, "The Four Horsemen")

Die dritte Geschichte „Polarkreis“ ist im Postkarten- und Briefstil geschrieben, was ich für eine gute Idee halte, denn es bringt Abwechslung ins Buch, das mag ich!  Auch hier bin ich beeindruckt, wie man mit wenigen Worten soviel Atmosphäre schaffen kann.

Besonders schön sind Sätze wie: "Das Meer, die olle Diva, hat schon wieder ihr türkises Kleid angezogen. An den Felsen von Zaro schlägt sie sich die Schienbeine an (ich mir auch), und ihre Dauerwelle schmeckt salzig. Ich habe mit ihr gerungen, ihr Tritte verpasst und sie hat mich ausgespuckt."

Wunderbar!! Zum Schmunzeln bringen mich Formulierungen wie "...und Jesus hing gekreuzigt im Hintergrund herum". :-)

Die Story ließ mich melancholisch zurück und ich brauchte eine klitzekleine Pause bevor ich weiterlesen konnte.

Auch die anderen Geschichten kommen in unterschiedlichen Erzählformen daher, mal als Auflistung oder in Tagebuchform, dann mehrere Storys in einer Erzählung. Insgesamt finde ich die Geschichten alle recht melancholisch bis traurig, aber auch irgendwie weise. Die „Familienportraits“ sind schon fast deprimierend, aber natürlich auch sehr relastisch. Sie brachten mich zum Nachdenken über die Menschen, die mit der Pflege und Fürsorge ihrer Eltern betraut sind und wie aufreibend, berührend und anstrengend das oft ist. Da kann die Realität auch schnell mal deprimierend werden.

Die letzte Geschichte „Findling“ führte mir vor Augen, wie weit wir Stadtmenschen uns bereits von der Natur entfernt haben. Beschrieben wird das „einfache“ Leben in der Natur, wobei daran nichts wirklich einfach ist! Nahrung besorgen, den Winter überstehen, Krankheiten behandeln: alles ist sehr mühselig, wenn auch im Einklang mit der Natur.

Mich hat die wunderbare Sprache in diesem Buch überrascht, beeindruckt und berührt. Wer solche Erzählungen mit Tiefgang mag, dem kann ich es deshalb nur empfehlen.

Wie mir das Buch gefallen hat? Um es mit den Worten der Autorin zu sagen: „Sehr, sehrer, am sehrsten“!!!

Übrigens, die Danksagung am Ende endet mit den Worten „wau wau wau“.... die sind dann wohl an das Rudel gerichtet :-)