Rezension

Ein wertvolles und wichtiges Buch der Exilliteratur

Manja - Anna Gmeyner

Manja
von Anna Gmeyner

Bewertet mit 5 Sternen

~~Rückentext
Poetisch und berührend erzählt Anna Gmeyner die Geschichte von fünf Kindern, die in derselben Nacht im Frühjahr 1920 gezeugt werden, aber in ganz unterschiedlichen Milieus aufwachsen. Eigentlich trennen sie Welten, und dennoch sind sie Freunde geworden, verbunden durch eine innige Zuneigung zu Manja – dem Mädchen aus armen ostjüdischen Verhältnissen. Für diese Freundschaft müssen sie immer wieder kämpfen: zu Hause, in der Schule und in ihrer Freizeit. Doch letztendlich bleiben sie Gefangene ihrer Zeit, an der Maja zerbricht und mit ihr die Hoffnung auf eine menschwürdige Zukunft.

Anna Gmeyner wurde 1902 in Wien geboren und starb 1991 in York. Während der Machtübergabe an die Nationalsozialisten  im Januar 1933 hielt sich Gmeyner in Paris auf. Im Exil schrieb sie „Manja“ ein bedeutendes Stück der Exilliteratur, welches 1938 im Querido Verlag in Amsterdam veröffentlicht wurde. In Deutschland wurde dieser Roman erstmals 1984 verlegt, vom persona verlag in Mannheim und 2014 beim Aufbau Verlag neu verlegt.

Die Geschichte beginnt in einer Frühjahrsnacht 1920. In dieser Nacht werden Heini, Franz, Harry, Karl und Manja gezeugt. Ich als Leserin erfahre wie ihre Eltern leben und unter welchen Umständen die Kinder gezeugt wurden. Was dabei absolut faszinierend für mich ist, ist die Verbindung der Eltern untereinander. Auch wenn die Kinder noch nicht geboren wurden, so gibt es jetzt schon Verbindungen zwischen den Eltern, von denen sie noch nichts wissen … sei es als Arzt, der bei der Geburt hilft und sich kümmert, oder eine Mutter, die genügend Milch hat, um noch ein Kind zu nähren. Oder der Vater der bei dem/ für den anderen Vater arbeitet. Gmeyner schafft es mit Sprache die unterschiedlichen Stellungen ihrer Protagonisten in der Gesellschaft darzustellen. Denn in den fünf Familien gibt es Arme und Reiche, Gewalt und Menschlichkeit, Liebe und Hass, Bürgerlichkeit und Proletarierstolz, Antifaschismus und Nationalsozialismus … aber das kümmert die fünf Kinder überhaupt nicht. Sie leben in ihrem eigenen Kosmos, leben ihre Freundschaft und die vier Jungen würden alles für Manja tun. Manja verkörpert Glück, Zusammengehörigkeit, Gerechtigkeit, Liebe, Unbefangenheit. Aber würden sie wirklich alles für Manja tun …

„(…)
„Ich weiß, was du meinst Manja“, rief er lebhaft. „Bei uns in der Schule, vor langer Zeit, war einmal ein Käfer im auf dem Rücken. Ich habe ihn umgedreht, damit er kriechen kann, und da waren Jungs, die haben ihn immer wieder auf den Rücken gelegt, damit er zappelt. Das waren die anderen.
„Es gibt viele andere“, sagt sie still.
„Ja, nicht? Auf einmal schrecklich viele“, gab er zu.
„Aber Manja, wenn wir feig sind und alle Menschen wie wir, dann müssen alle Käfer auf der Welt auf dem Rücken liegen.“
Manja schweigt und drückt seine Hand. „Einen Käfer hast du umgedreht“, sagt sie, „er krabbelt wieder.“
(…)“ (Seite 392)

Im weiteren Verlauf der Geschichte kippt die schon sehr bedrückende Stimmung komplett. Auch hier spielt Gmeyner wieder sehr mit Sprache und ihren Protagonisten. Die, die bisher das "Sagen" hatten (in dem Fall die Reichen, Juden etc.) werden jetzt verfolgt und eingesperrt. Die vormals "unterjochten" streben auf und spielen ihre Macht gegen die "ehemaligen Unterdrückern" aus. Auch Manja und ihre Freunde bekommen dies zu spüren. Es kommt zum äußersten. Manja, die nur das Gute im Menschen sieht muss erleben wie gemein, niederträchtig, rachsüchtig ... Menschen sein können. Für sie bricht eine Welt zusammen …

"Jeder Augenblick wächst wie eine Pflanze aus dem dunklen Boden des Gewesenen, das ihn unsichtbar und ungreifbar gestaltet und bestimmt, wächst mit verborgenen und verzweigten Wurzeln in der Erde des Vergangenen.
Jedes Wort, jede Tat, jeder Schmerz geht einen langen Weg durch dunkle Schächte, bis er deutlich geformt und sichtbar vor uns steht.
Was die Kinder nur erlitten und nicht verstanden, führte weiter zurück als ihr Erinnern, reichte in die Zeit, bevor sie waren und ehe ihr Leben begann.
Und auch das war nicht der Anfang." (Seite 9)

Was für ein wundervoller Einstieg in ein phantastisches und poetisches Buch, das mir mit jeder Seite mehr immer tiefer unter die Haut und in mein Herz ging ♥♥♥ Dieses Buch macht mich traurig, fassungslos, wütend und lässt mich nachdenklich zurück … Manja ist ein Mädchen mit Visionen, von der wir uns alle eine Scheibe abschneiden können …

… Manja bleibt für alle Zeit in meinem Herzen ♥♥♥. DANKE Anna Gmeyner für dieses wertvolle Stück Exilliteratur!!!