Rezension

älteres Sachbuch, aber mit aktueller Brisanz

Verstehen, was Sterbende sagen wollen - Elisabeth Kübler-Ross

Verstehen, was Sterbende sagen wollen
von Elisabeth Kübler-Ross

"Erschöpft kehrte er in sein Zimmer zurück. Seine Eltern nahmen die Stützräder ab und brachten auf seine Bitte sein geliebtes Fahhrrad in sein Zimmer hinauf und ließen ihn allein. Erst als er seinen kostbaren Besitz auf Hochglanz poliert hatte, bat er seinen Bruder, in sein Zimmer zu kommen, und schenkte ihm das Fahrrad als ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk. Zwei Wochen später starb Jeffy, stolz darauf, daß ihm das gelungen war, was er sich immer gewünscht hatte, und umso glücklicher, als er sein geliebtes Fahrrad an seinen jüngeren Bruder weitergeben konnte, der gesund und jetzt sieben Jahre alt war, so daß er ohne Stützräder fahren konnte." 

 

 

Sterbende haben eine eigene Sprache. Nicht nur deshalb, weil das Thema "Tod und Sterben" in unserer Gesellschaft immer noch oft tabuisiert wird. Die berühmte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat deshalb auf Bitten vieler direkt und indirekt Betroffener ein weiteres Buch veröffentlicht, dass sich mit der Symbolik der Sprache (aber auch mit Mimik, Gestik und anderen (Inter-)Aktionen) beschäftigt.   

Das Buch ist als kleines, gerafftes Taschenbuch mit 185 Seiten 2004 im Knaur Taschenbuchverlag erschienen. Vertrauten Lesern der Autorin werden einige Auszüge im Buch bekannt vorkommen. Diese "Wiederholungen" sind für das Verständnis des Buches für "neue" Leser aber unabdingbar und haben mich nicht gestört. Ich sehe sie für mich eher als eine sinnvolle Wiederholung. 

 

Der erste Abschnitt beginnt direkt mit der Thematik "Verstehen, was Sterbende sagen wollen". Dabei wird die Autorin nicht müde immer wieder zu betonen, was für Sterbende wichtig ist. An drei Beispielen zeigt sie, dass es nicht nur um die beste medizinische Behandlung und Pflege geht, sondern auch oder vor allem um die emotionalen und seelischen Bedürfnisse.     

 

Ein nächster Abschnitt widmet sich dem Thema "Sterbende Kinder". 

Was mich sehr bewegt hat, war die Aussage, dass Kinder sehr viel leichter mit dem Sterben umgehen könnten, wenn wir Erwachsene nicht aus allem so ein Mysterium machen und ihren Fragen ständig ausweichen würden. Wir alle müssen lernen offen(er) und ehrlich auch mit kleinen Kindern umzugehen. Sie bekommen oft sehr viel mehr mit als wir meinen. Sehr berührt, haben mich auch die Beispiel von Kindern, die gern über das Sterben reden wollten, es aber nicht konnten, weil keiner der Erwachsenen bereit dazu war, sich darauf einzulassen. Diese Geschichten gehen wirklich ans Herz und zeigen wie wichtig eine gute Sterbebegleitung ist.  

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt (nicht nur bei Kindern) ist die oft verwendete verbale und nonverbale Symbolsprache. Manchmal wird sie von uns im Trubel überhört oder man deutet sie falsch. Auch die Autorin selbst, musste sich darauf immer wieder aufs neue Einlassen. 

Kinder können zum Beispiel oft "reif und erwachsen" in ihrer eigenen Sprache über den bevorstehenden Tod sprechen, über den die Erwachsenen nichts hören wollen. Entscheidend dafür sind unsere eigenen Vorstellungen vom Tod und dem Danach. Gehört der Tod als etwas Natürliches zu unserem Leben dazu oder empfinden wir ihn vielleicht als eine Katastrophe, als ein zerstörerisches Geschehen?! Wie auch immer, müssen wir lernen, ihn als einen Teil unseres Lebens zu akzeptieren. Wir müssen ihn Annehmen, um unserer eigenen Sterblichkeit einen Schritt näher zu kommen und um uns für andere, in dieser oft schweren Zeit, öffnen zu können. 

Eine wichtige Botschaft dabei ist: "Genieße das Heute und denke nicht zu sehr an das Morgen."  

 

Im zweiten Kapitel kommt eine Mutter zu Wort, deren Tochter an Leukämie starb. Sie schildert ihren "Alltag" auf einer Mutter-Kind-Station, auf der sie die meiste Zeit zusammen mit ihrer Tochter verbrachte und zeigt auf, was ihr in dieser Zeit wirklich Kraft gab. Gibt es einen Rahmen, eine Perspektive, die den Tod annehmbarer machen kann? Wenn sie dieses Kapitel gelesen haben, können sie diese Frage ganz sicher für sich beantworten.    

Im Gespräch wird auch verdeutlicht, dass es einen Unterschied geben kann zwischen einem "vorhersehbaren" und dem "plötzlichen, unvorhersehbaren" Tod und wie sich verschiedene, involvierte Menschen unabhängig voneinander fühlen. Bei all dem Kummer wird oft übersehen, dass sich eine Dynamik entwickelt, von der nicht nur eine Person betroffen ist.    

 

 

Fazit: 

Wenn das Sterben in unserer Gesellschaft so selbstverständlich akzeptiert werden würde, wie die Geburt bräuchten wir keine Fachleute, die mit dem Sterben und dem Tod umgehen können. Es gebe keine isolierten Sterbenden in Krankenhäusern oder Pflegeheimen mehr. Und Sterbende könnten mit Unterstützung viel öfter ihren letzten Weg von zu Hause aus gehen. 

 

Ein kleines, aber feines Buch für alle, die sich mit der Thematik "Tod und Sterben" beschäftigen möchten. Wenn auch schon etwas älter, hat es an seiner aktuellen Brisanz nichts eingebüßt.